15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Zola Mennenöh Gesang und Text
Lisa Meignin Flöte
Jone Bolibar Klarinette
Laura Hovestadt Viola
Ruben Jeyasundaram Violoncello
Max Andrzejewski Perkussion und Komposition
Lisa Nyberg Lecture Performance
Programm
Max Andrzejewski (Musik) / Zola Mennenöh (Text)
„Music for a future without guarantees“ (2023)
To the new
I rest in uncertainty
Allow yourself to remember, and imagine
Point zero, zero gravity
New Reality
Aporia
To welcome the future unknown, as surprise
„Alles Mögliche kann hier nun stattfinden, kein Stein des klassischen Konzerts bleibt auf dem anderen,“ fasste die Berliner Zeitung begeistert die Idee unseres Festivals vor zwei Jahren zusammen.
Auch in der zweiten Ausgabe von „Aus den Fugen“ bleiben wir diesem mutigen Ansatz treu: Erneut verwandeln wir Impulse aus dem Weltgeschehen in künstlerische Ideen. Zwei Wochen lang schaffen wir alternative Konzertformate, geben zu Unrecht ungehörten Werken einen Platz auf der Bühne und holen häufig ausgeschlossene Akteure in die Mitte des Geschehens.
Gemeinsam mit starken Künstler*innen, die unsere Neugier auf unbekanntes Terrain teilen, setzen wir die aus den Fugen geratenen Teile neu zusammen und eröffnen damit frische Handlungsspielräume für das klassische Konzert.
Raum entsteht dabei auch für Nachdenklichkeit: Wie können wir wieder festen Boden unter den Füßen finden, wenn um uns herum so vieles ins Wanken gerät? Wie gelingt es, den Glauben an die Menschlichkeit zu bewahren angesichts der zahlreichen Konflikte, Fronten und Kriege? Vielleicht durch die Kraft der Musik als Mittel der Resilienz, durch den Willen, voneinander zu lernen und im Dialog zu bleiben – und nicht zuletzt durch die Gemeinschaft, die ein intensiv gestaltetes Festival stiften kann.
Dazu laden wir Sie herzlich ins Konzerthaus Berlin ein!
Sebastian Nordmann
Intendant
Dorothee Kalbhenn
Programmdirektorin
Ein Kommentar von Zola Mennenöh
Hier und jetzt, heute Abend, wird der Kleine Saal des Konzerthauses zu einem Ort der kollektiven Erprobung. Mit Ihnen, dem Publikum, und mit uns, den Musiker*innen: Wir hören, wir sehen, wir ertasten mit unseren Ohren, unseren Augen, unseren Händen diesen Raum, gemeinsam und doch jede*r für sich, im eigenen Tempo. Wir betreten diesen Raum, den sichtbaren und den unsichtbaren, der sich füllt mit Geräuschen, Bildern, Tönen, Bewegungen und Worten. Wir durchstreifen ihn mit all unseren Sinnen, mit unseren Gedanken, unseren Blicken, unserer Fantasie. Wie könnte eine Zukunft aussehen, wenn wir sie selbst gestalten und uns dabei unserer ganzen Vorstellungskraft bedienen? Herzlich willkommen im Raum der Möglichkeiten.
Das Leben gibt uns keine Garantien. Jeden Tag treffen wir Entscheidungen, deren Konsequenzen wir nur bedingt voraussehen können. Auf diese allgegenwärtige Unsicherheit, dieses Risiko, reagieren wir Menschen ganz unterschiedlich. Manche von uns springen hinein ins kalte Wasser und vertrauen darauf, dass es „schon schief gehen wird“. Und wenn es dann wirklich schief gehen sollte, ja gut, dann hat man etwas dazu gelernt. Andere versuchen durch Analysen und Berechnungen von möglichen Best- und Worst-Case-Szenarien, das Erstellen von Pro- und Contra-Listen zu garantieren, dass… ja, dass was eigentlich? Wofür wollen wir eine Garantie? Was versuchen wir zu kontrollieren? Diese Strategie suggeriert ein Gefühl von Sicherheit, sie lässt uns glauben, wir hätten die Kontrolle über unser Leben und das Schicksal läge in unserer Macht. Aber ist das wirklich so? Oder ist es vielleicht eher eine Strategie der Vermeidung? Ein als Verantwortungsbewusstsein getarntes (Über)Leben ohne Sehnsüchte und Fantasie?
Lassen Sie uns für einen Moment die (gefühlte) Kontrolle abgeben und ein Experiment wagen: Stellen wir uns vor, alles wäre möglich, alles könnte anders sein – unsere Stühle, auf denen wir sitzen, unsere Sprache, unsere Gedanken. Wie sähe eine Wirklichkeit aus, die wir uns wirklich wünschen? Eine, die unseren Werten entspricht, die wir selbst mitgestalten? Was würden Sie als erstes tun? Wen würden Sie anrufen? Womit würden Sie aufhören? Würden Sie umziehen? Den Beruf wechseln? Wie sähe er aus, der erste Schritt, in die eigene Utopie der Zukunft?
Missstände identifizieren und aus diesen Erkenntnissen Lösungsvorschläge ableiten, die Veränderungen bewirken und eine bessere, gerechtere Zukunft möglich machen: Die Dekonstruktion der Vergangenheit ist ein wichtiges Werkzeug, um zu einem Gefühl von „wir können“ zu kommen. Diese kognitive, intellektuelle Arbeit in der Theorie ist wichtig. Ebenso wichtig scheint es mir aber, alternative Wirklichkeiten zu erdenken im Hier und Jetzt. Gehen wir diesen zweiten Schritt nicht, laufen wir Gefahr, im Analysieren von Vergangenem stecken zu bleiben. Dann verpassen wir es, eine wünschenswerte Zukunft in der Gegenwart zu erproben. Doch warum fällt uns dieser zweite Schritt so schwer?
Vielleicht haben wir verlernt, mit unseren Träumen zusammenzuarbeiten. Träumen wird in unserer Gesellschaft oft gleichgesetzt mit Naivität. Wer sich Wünschenswertes ausmalt, an positive, radikale Veränderungen glaubt, sie sich erhofft und das auch ausspricht, ohne die mögliche Umsetzung mit Fakten zu belegen und die notwendigen Ressourcen direkt mitzuliefern, wird schnell als unrealistische*r Träumer*in abgetan. Mit dem Erschaffen einer Utopie stoßen wir auf Widerstand, auf Limitationen, auf Misstrauen. Das kann dazu führen, dass wir uns kaum trauen, uns eine andere Wirklichkeit vorzustellen, geschweige denn, anderen davon zu erzählen. Je nach Herkunft, Geschlecht und Position in unserer Gesellschaft bedarf es wenig bis sehr viel Mut zum Erdenken einer Utopie. Doch eine Veränderung kann es nur geben, wenn wir uns erlauben, sie zu erdenken. Auch wenn wir dabei stören. Wir stören, wenn wir den Status Quo infrage stellen. Wir stören, wenn wir uns trauen, uns eine Wirklichkeit auszumalen, die es noch nicht gibt. Unsere Fähigkeit zur Vorstellung einer Utopie ist unbequem.
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, unsere Zeit zum Träumen, ist ein Privileg, das uns alle, die wir heute Abend hier sind, vereint. Auch wenn uns Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit aktuell häufig begleiten, weil wir von Krisen, die nicht enden wollen, und Missständen an allen Ecken umgeben sind, haben wir Glück gehabt. Also lassen Sie uns dieses Privileg nutzen. Nicht weil, sondern obwohl die Gegenwart ist, wie sie ist. Lassen Sie uns Räume erschaffen, für uns und andere, in denen wir zumindest für einen Moment versuchen, eine gerechtere Zukunft zu imaginieren.
Berlin, Oktober 2024
Zola Mennenöh (*1988) ist eine international agierende Vokalistin, Flötistin und Komponistin der experimentellen, zeitgenössischen und improvisierten Musik sowie des Avant-Pop. In ihren künstlerischen Arbeiten beschäftigt sie sich mit Fragen der Identität und den Grenzen und Möglichkeiten des persönlichen Ausdrucks durch die Stimme und den Körper. Ausgebildet in Klassik und Jazz, manifestiert sich ihre vielseitige Künstlerinnenpersönlichkeit in einem mutigen, genreüberwindenden und oft interdisziplinären Multikosmos, den sie bereits u.a. auf dem Acht Brücken Festival, im Konzerthaus Berlin und der Kölner Philharmonie zur Aufführung brachte. Der „Guardian“ listete sie als eine der „best new artists in 2021“. Ihren Bachelor-Abschluss erwarb sie am Jazz Institut Berlin, ihren Master sowie einen „Postgraduate“-Abschluss am Rhythmic Music Conservatory in Kopenhagen.
Max Andrzejewski (*1986) ist Komponist und improvisierender Schlagzeuger, wohnhaft in Berlin. Seine energetische musikalische Arbeit verortet sich an der Schnittstelle von zeitgenössischer Kunstmusik und Improvisation. Der studierte Schlagzeuger (Musikhochschule Köln, Universität der Künste Berlin) ist zunehmend auch als Komponist gefragt. Aufträge erhielt er bereits vom Acht Brücken Festival Köln, dem Beethovenfest Bonn, der Elbphilharmonie und vielen weiteren renommierten Festivals und Veranstaltern. Mit seiner Band Max Andrzejewski´s Hütte veröffentlichte er fünf Alben und gewann 2013 den Neuen Deutschen Jazzpreis. Weitere Projekte von ihm sind das Duo TRAINING und das Kammermusikensemble Stemeseder / Andrzejewski light / tied. Weltweite Konzertreisen sowie zahlreiche Einspielungen dokumentieren Andrzejewskis musikalisches Schaffen.
Dr. Lisa Nyberg ist bildende Künstlerin, Lehrerin und Forscherin an der Umeå Academy of Fine Arts in Schweden. Ihre Arbeit nimmt unterschiedlichste Formen an, die von Installationen über Klangstücke und Bücher bis hin zu Performances reichen. Zudem leitet sie Workshops, geführte Meditationen und institutionelle Prozesse, die auf verkörpertem Lernen und radikalen Pädagogiken basieren. In ihrer aktuellen Forschung untersucht Nyberg, was es für Menschen bedeutet, einen Ort zu kennen und in ihm bekannt zu sein. Ihre Arbeiten wurden im Forschungspavillon der Biennale von Venedig, in der Kunsthal Aarhus, der Konsthall C in Stockholm, der Trondheim Art Biennale, dem Signal Center for Contemporary Art in Malmö, dem Göteborger Kunstmuseum und vielen weiteren Orten ausgestellt.
Frieden und Krieg, Sicherheit und Flucht, Unversehrtheit und Bedrohung – das Thema von „Aus den Fugen“ spiegelt sich in zwei Installationen wider, die während des gesamten Festivals im Konzerthaus zugänglich sind.