Quatuor Arod

von Andreas Hitscher 12. März 2024

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Inhalt

Quatuor Arod
Jordan Victoria Violine
Alexandre Vu Violine
Tanguy Parisot Viola
Jérémy Garbarg Violoncello


Joseph Haydn (1732 – 1809)
Streichquartett C-Dur op. 76 Nr. 3 Hob III:77 („Kaiserquartett“)
Allegro
Poco Adagio. Cantabile
Menuetto. Allegro
Finale. Presto


Benjamin Attahir (*1989)
„Al'Asr“ für Streichquartett
Intense
Ancora poco più mosso
Lontano e misterioso
Agitato
Fuge


Pause

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Streichquartett cis-Moll op. 131
Adagio ma non troppo e molto espressivo
Allegro molto vivace
Allegro moderato
Andante ma non troppo e molto cantabile
Presto
Adagio quasi un poco Andante
Allegro

Voller Erfindung

Haydns „Kaiserquartett“

Joseph Haydns letzte vollständige Quartettserie – nur noch die beiden Kompositionen op. 77 und das unvollendete Quartett op. 103 folgten nach – entstand in den Jahren 1796/97 in direkter Nachbarschaft zu seinem Oratorium „Die Schöpfung“: Alterswerke, die gewiss mit Mühe aufs Papier gebracht wurden, nichts aber von ihrem schwierigen Entstehungsprozess bemerken lassen. „Ich habe durch Instrumentalmusik niemals mehr Vergnügen empfunden“, verneigte sich der Engländer Charles Burney vor Haydns Opus 76, „voller Erfindung, Feuer, gutem Geschmack und neuen Effekten“ und scheinbar „die Hervorbringung nicht eines erhabenen Genius …, sondern eines solchen …, der vorher noch nichts von seinem Feuer ausgegeben hatte.“

Bekanntestes und beliebtestes Quartett der Sammlung ist zweifelsfrei das dritte. Da gibt es einen springlebendigen Kopfsatz, der ebenso virtuos die Motive durch die Luft jongliert wie er uns dann mit Dudelsackklängen zurück auf den Boden einer Dorfschenke holt; da gibt es ein freundliches Menuett, in dem Haydn – anders als er es sonst so gerne augenzwinkernd tat – den Tänzern keine Fallen stellt, dafür aber im Trio einen intimen Rückzugsort bietet; da gibt es schließlich ein dramatisch anhebendes und sich ins Licht wendendes Finale. Und da gibt es vor allem als zweiten Satz die Variationenfolge über Haydns unmittelbar zuvor komponierte „Kaiserhymne“. Trotz aller figurativen Ausschmückung bewahrt das Thema seinen hymnischen, an ein Gebet erinnernden Charakter. Der fromme Wunsch des ursprünglichen Textes („Gott, erhalte Franz den Kaiser!“) ist über die Jahrhunderte verweht. Doch das Bitten um Frieden hat Haydn damals, als die napoleonischen Truppen und halb Europa Krieg gegeneinander führten, wohl – ganz zeitlos – auch in die Musik gelegt. Und das greift uns nach wie vor ans Herz.

Nachmittagsgebet

Attahirs „Al'Asr“

Benjamin Attahir wurde 1989 in Toulouse geboren und lernte zunächst das Violinspiel. Seine Kompositionsausbildung erhielt er unter anderem bei Marc-André Dalbavie, Gérard Pesson und Pierre Boulez. Er hat zahlreiche internationale Preise erhalten; Werke Attahirs wurden von renommierten Orchestern, Dirigenten und Instrumentalisten aufgeführt. Am 20. Januar letzten Jahres spielte das Quatuor Van Kuijk in unserer Reihe die deutsche Erstaufführung seines Quartetts „Al Dhikrâ“, das gemeinsam von der Pariser Philharmonie und dem Konzerthaus Berlin in Auftrag gegeben wurde.

Seine Inspiration schöpft Benjamin Attahir – wie allein schon zahlreiche Werktitel zeigen – aus seiner Herkunft, die sowohl im Orient wie im Okzident wurzelt. Dies trifft auch für sein erstes, 2017 vom Quatuor Arod uraufgeführtes Streichquartett „Al ’Asr“ zu. Der Titel verweist auf das muslimische Nachmittagsgebet und die 103. Koran-Sure: „Die Menschen sind wahrlich im Verlust. Außer denjenigen, die glauben und gute Werke tun und sich gegenseitig die Wahrheit ans Herz legen und sich gegenseitig zur Geduld anhalten.“ Mit diesem Stück sei er, so Attahir, zum „Rückgrat seines Schreibens, einer verzierten Monodie, frei inspiriert von der Musik des Nahen Ostens“ zurückgekehrt. ,Al Asr‘ ist das Nachmittagsgebet. Ich habe versucht, die Atmosphäre genau in diesem Moment des Tages in Musik zu übersetzen. Grelles Licht, drückende Hitze, die Wellenbewegung der Luft, wenn sie den Boden berührt. Mein Kopf war voller Bilder, als ich dieses Stück schrieb …“

„Ich habe versucht, die Atmosphäre genau in diesem Moment des Tages in Musik zu übersetzen. Grelles Licht, drückende Hitze, die Wellenbewegung der Luft, wenn sie den Boden berührt. Mein Kopf war voller Bilder, als ich dieses Stück schrieb …“ – Benjamin Attahir

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Tanz der Welt

Beethovens Opus 131

Das letzte Schaffen Beethovens galt dem Streichquartett. Ab 1824 beschäftigte er sich nahezu ausschließlich mit dieser Gattung, obwohl andere Entwürfe vermuten lassen, dass er sie nicht bewusst an das Ende seines Komponierens setzte. Als vorletztes jener Quartett-„Schwergewichte“ entstand das in cis-Moll in der ersten Hälfte des Jahres 1826. Waren so manchem seiner Zeitgenossen über die späten Quartette im Allgemeinen Zweifel an Beethovens Geistes- und Gemütszustand gekommen, bot Opus 131 ganz besonders Anlass dafür: Zu ungewöhnlich war die Form, zu schroff der Wechsel der Affekte. Selbst wohlmeinende Rezensenten wie 1828 Friedrich Rochlitz vertagten das Begreifen eher in die Zukunft: „Wenn das Werk dir nicht zusagt, so ist mindestens es möglich, dass dies nicht an ihm, sondern an dir liege.“ Der Aufbau von sieben – im Prinzip ohne Pause ineinander übergehenden – Sätzen verliert auch kaum an Kühnheit durch den Umstand, dass der Analytiker ein tradiertes Gerüst durchschimmern sieht (Adagio + Allegro = 1. Satz; Allegro moderato + Andante = 2. Satz; Presto = 3. Satz; Adagio + Allegro = 4. Satz). Nicht nur haben die an dritter und sechster Stelle stehenden Stücke mit ein/zwei Minuten den Charakter von Miniaturen. Auch das „Kernstück“, das ausgedehnte Andante ma non troppo e molto cantabile in der Werkmitte, reiht als Variationenfolge kurze Episoden aneinander.

Versinken in Wehmut, in den wolkenlosen Himmel auffliegender Frohsinn, Enteilen im Geschwindmarsch, plötzliches Innehalten, kindliche Naivität, hymnische Verklärung, zartes Streicheln und der derbe Schlag auf den Tisch, tiefgründiges Gespräch und scherzhaftes Spiel …: „Das ist der Tanz der Welt selbst“, meinte Wagner. Ein Kosmos, der seine eigenen Gesetze hat und in dem sich die Konvention zum Lächerlichen verliert. Ein Freiheitswille, der uns staunen lässt. Wir staunen dann freilich auch darüber, dass Beethoven in Opus 135, seinem letzten Quartett, direkt nach dem cis-Moll-Werk begonnen, das viersätzige Modell auferstehen ließ. Genies sind rätselhaft!

„Das ist der Tanz der Welt selbst“ – Richard Wagner

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Das Ensemble – benannt nach einer für Stärke und Leidenschaft, aber auch für Kameradschaft stehenden Figur aus Tolkiens „Herr der Ringe“ – gründete sich 2013 am Conservatoire de Paris, wo die Mitglieder besonders von Jean Sulem geprägt wurden. Der Erste Preis beim FNAPEC-Kammermusikwettbewerb 2014 öffnete ihm die Türen zur ProQuartet-Residenz, dem europäischen Zentrum für Kammermusik.   Nach weiterem Unterricht beim Quatuor Ébène (besonders dessen ehemaligem Bratschisten Mathieu Herzog) und dem Artemis Quartett an der Chapelle Musicale Reine Élisabeth in Brüssel gewann es 2015 beim Carl-Nielsen-Wettbewerb in Kopenhagen den Ersten Preis und zwei Sonderpreise. 2016 folgte der Gewinn des ARD-Wettbewerbs in München. 2017 wurde das Quatuor Arod zum „BBC New Generation Artist“ für die Spielzeiten 2017 bis 2019 und zum „ECHO Rising Star“ für die Spielzeit 2018/19 ernannt. Damit verbunden waren Auftritte in den bedeutendsten Konzertsälen Europas und in den USA.

Auf CD erschienen mit dem Quatuor Arod bisher Werke von Schubert, Webern, Schönberg, Zemlinsky. Mendelssohn, Debussy, Ravel und Attahir. 2023 kam der Dokumentarfilm „Ménage à Quatre“ über das Quartett heraus. Die aktuelle Saison nennt Auftritte im Pariser Théâtre des Bouffes du Nord, in der Opéra de Montpellier, der Elbphilharmonie Hamburg, der Wigmore Hall, im Tivoli Vrenderbug in Utrecht und im Leipziger Gewandhaus sowie Tourneen durch Italien, Deutschland, die USA und Taiwan. Das Quatuor Arod ist derzeit bei der Fondation Singer-Polignac in Residenz.

Jordan Victoria spielt ein Instrument von Francesco Goffriller, Alexandre Vu eines von Battista Guadagnini, Tanguy Parisot eine Viola von Carlo Ferdinando Landolphi und Pietro Giovanni Mantegazza (1775) sowie Jérémy Garbarg ein Violoncello von Giovanni Battista Ruggieri (um 1700).

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