16.00 Uhr
Neujahrskonzert
Maxwell Quartet
Colin Scobie Violine
George Smith Violine
Elliot Perks Viola
Duncan Strachnam Violoncello
Traditionell
Gaelic Psalms of the Western Isles of Scotland, bearbeitet für Streichquartett
Edmund Finnis (* 1984)
Streichquartett Nr. 1 („Aloysius“)
I. Viertel = ca. 96 / Viertel = ca. 108
II. Viertel = ca. 76
III. Halbe = ca. 80
IV. Hymne (nach Byrd)
V. Viertel = ca. 148
William Byrd (1540 – 1623)
„Ave verum Corpus“, bearbeitet für Streichquartett
Pause
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Streichquartett a-Moll op. 132
I. Assai sostenuto – Allegro
II. Allegro ma non tanto
III. Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lidischen Tonart. Molto adagio – Neue Kraft fühlend. Andante – Molto adagio – Andante – Molto adagio. Mit innigster Empfindung
IV. Alla marcia, assai vivace – Più Allegro
V. Allegro appassionato - Presto
Das heutige Programm kreist auf vielfältige Weise um geistliche Musik. Zu Beginn stellt das Maxwell Quartet seine instrumentale Version gälischen Psalmgesangs vor. Im 16. Jahrhundert entstand in Schottland im Zuge der Reformation die presbyterianische Kirche, bei der das musikalische Lob Gottes nun nicht mehr auf Latein durch einen speziellen Chor stattfand, sondern in gälisch-schottischer Sprache durch alle Gläubigen erfolgte. Charakteristisch für diese auf den Äußeren Hebriden und an der Westküste Schottlands verbreitete, unbegleitete Praxis ist der Wechsel von Vorsänger und Gemeinde.
Das lateinische „Ave verum corpus“, das die erste Konzerthälfte beschließt, kommt wiederum aus der katholischen Tradition und verweist auf das Abendmahl, auf den „wahren Leib, geboren von der Jungfrau Maria, geopfert am Kreuz für den Menschen“. Die vierstimmige, 1605 erstmals gedruckte Motette stammt aus der Feder William Byrds, der es auf ganz erstaunliche Weise schaffte, während der englischen Religionswirren und der Herrschaft des protestantischen Heinrich VIII. an seinem Glauben festzuhalten.
Ein anderes Stück von Byrd, die fünfstimmige, vermutlich um 1580 komponierte Motette „Christe, qui lux es et dies“ („Christus, der das Licht und der Tag ist“) nimmt der 1984 in Oxford geborene Edmund Finnis im vierten Satz seines ersten Streichquartetts zum Reflexionsgegenstand. Während des Schreibens des knapp 20minütigen, lyrisch versonnenen Werks hätte er – so Finnis – „Folgendes im Kopf“ gehabt: „Das Bild von Wolken, die sich bilden und auflösen; Linien werden miteinander verwoben und Energie wird zwischen vier Individuen weitergegeben; ein Gefühl von Geräuschen beim Atmen.“ Die Uraufführung spielte das Minetti Quartet Ende Mai 2018 in Margreid/Südtirol.
Edmund Finnis studierte am King's College London und an der Guildhall School of Music & Drama in London sowie als Leonard Bernstein Fellow in Tanglewood. 2012 erhielt er den Paul Hamlyn Award, 2013 war er Composer in Residence beim Chelsea Music Festival in New York, von 2013 bis 2016 Composer in Association beim London Contemporary Orchestra. Seit 2015 ist Edmund Finnis Professor für Komposition an der Royal Academy of Music.
„Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lidischen Tonart“ hat Beethoven den dritten Satz seines im Juli 1825 vollendeten a-Moll-Quartetts überschrieben. Ein spätes Werk und eine Feier des Lebens! Zweifelsfrei ist überliefert, dass er die Arbeit an seinem Opus 132 im April des Jahres Zeit aufgrund einer schweren Erkrankung unterbrechen musste. Und nachweislich bedankte er sich bei dem behandelnden Arzt mit einem Kanon, der das Thema „Tod“ scherzhaft aufgriff. Hört man aber den Mittelsatz des Quartetts, liegt die Vermutung nahe, Beethoven hätte damals in der Tat schon an der Schwelle zum Jenseits gestanden. Natürlich waren Choralparaphrasen ebenso wenig Beethovens Erfindung wie – in historisierende Mode gekommene – „Experimente“ mit alten „Kirchentonarten“, zu denen auch die lydische zählt (Halbtöne zwischen der vierten und fünften sowie der siebten und achten Stufe). Doch wenn die „Rohstoffe“ für den Satz auch schon länger gewachsen waren und inzwischen sogar in der Werkstatt des Komponisten lagerten, fügte er sie nun unter ganz konkreten biographischen Voraussetzungen zusammen: Die getragenen, unendliche Ruhe atmenden Choralteile stehen im Viervierteltakt und in besagtem lydischen Modus; die figurierten, „neue Kraft fühlenden“ Episoden setzen sich durch Dreiachteltakt und D-Dur ab. Allerdings ist mit solcher Nennung technischer Parameter nicht im Geringsten etwas von der ungeheuren Wirkung zu erklären, weder von der stillen Ergebung der Musik noch von der milden Luft und den Vogelgesängen, die der „Genesene“ durchs offene Fenster hereinlässt und ganz neu zu schätzen weiß, von der eigenen „Auferstehung“: Die „Gottheit“, die Beethoven anspricht, mag wenig mit bestimmten Konfessionen zu tun haben – sein Schicksal aber legt er umso mehr in ihre Hände
Rein äußerlich ergibt sich die Gewichtung des langsamen Satzes nicht nur durch die zentrale Stellung im fünfsätzigen Aufbau, sondern auch durch die aus dem Rahmen fallende Dauer von etwa siebzehn Minuten. Um dieses Herzstück schließen sich zwei „Scherzi“. Das vorausgehende ist durchweg tänzerisch und dreiteilig mit kontrastierendem Trio, in dem alles „Gezierte“ zugunsten bodenständiger Folklorismen in den Hintergrund tritt. Der nachfolgende äußerst knapp bemessene Satz besteht eigentlich aus zwei Miniaturen (Marsch und Rezitativ) und hat überleitende Funktion: „Statt des Trios folgt ‘attacca subito‘ im Rezitativstil die ‘wortreiche‘ Klage des Più allegro … Die religiöse Sicherheit des ‘Dankgesangs‘ konnte Beethoven nicht annehmen … Zum ersten Mal verwendet er in einem Streichquartett ein Rezitativ, das in seiner Musiksprache menschlicher Klage so eindeutig ist, dass es keiner Worte bedarf, um verstanden zu werden“ (Gerd Indorf).
Die „Scherzo-Schicht“ wird wiederum von einer Allegro-Schicht, Eingangssatz und Finale, umschlossen. Schmerz und Zerrissenheit auch hier, ständige Abbrüche aufkeimender melodischer Entwicklungen, beunruhigende Begleitfiguren, schroffe Akzente. Noch im Finale ist die Dramatik deutlich – der Freudentaumel der Coda dafür umso exzessiver ...
Die vier Musiker sind Freunde, seit sie sich beim Spielen in Jugendorchestern in Schottland kennengelernt haben. Diese enge Verbundenheit hört man auch ihren Interpretationen an; das Repertoire umfasst dabei sowohl die großen Werke der Klassik und Romantik als auch zeitgenössische Kompositionen und Volksmusik. Ihre ersten beiden Veröffentlichungen bei Linn Records kombinierten Streichquartette von
Haydn mit eigenen Kompositionen, die auf schottischer Volksmusik basieren. Unlängst brachten sie eine neue Auftragskomposition von Linda Buckley zusammen mit der Dudelsackspielerin Brìghde Chaimbeul zur Uraufführung und tourten damit durch Europa. Nach wie vor reisen sie mit dem Programm „Worksongs“, das Volkslieder vor dem Hintergrund des schottischen Jute- und Tweedgewerbes vorstellt; die CD „Gather“ (2023) vereint traditionelle schottische Musik von 1200 bis heute mit neuen Kompositionen. Des Weiteren arbeitete das Quartett mit dem Soul-Duo Lunir und dem Folk-Duo Chris Stout & Catriona MacKay, der Theatergruppe Cryptic, der Royal Ballet School, dem Kameramann Herman Kolgen, dem Danish String Quartet und dem Calidore Quartet, der Pianistin Imogen Cooper, dem Klarinettisten Kari Krikku und dem Bariton Roderick Williams zusammen. Regelmäßig tritt das Ensemble in britischen Konzertsälen (unter anderem Wigmore Hall London, Queen's Hall Edinburgh, Perth Concert Hall) auf und konzertiert in ganz Europa sowie den USA.
Das Maxwell Quartet wurde 2010 von Postgraduierten-Studenten am Royal Conservatoire of Scotland gegründet und ein Jahr später zu Residency Artists für Enterprise Music Scotland ernannt, was ihm mehrere gefeierte Konzerttourneen ermöglichte. Es hat ein das eigene Loch Shiel Festival in den westlichen schottischen Highlands, kuratiert eine Konzertreihe auf der Guardswell Farm in Perthshire und hat seit 2024 die künstlerische Leitung des Festivals Mendelssohn on Mull inne. Das Quartett studierte beim Endellion Quartet und bei Hatto Beyerle, Gründungsmitglied des Alban Berg Quartetts. Weitere Mentoren waren Miguel da Silva (Quatuor Ysaÿe), Erich Höbarth (Quatuor Mosaïques) und Krysztof Chorzelski (Belcea Quartet). Die Musiker spielen Violinen von David Tecchler und Giovanni Batista Rogeri, eine Bratsche von J.B. Vuillaume, ein Violoncello von Francesco Ruggieri (alles Leihgaben großzügiger Förderer) sowie moderne Instrumente der britischen Hersteller Roger Hansell, John Dilworth und David Rattray.