15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Orchestermusikerinnen und - musiker sind es gewohnt, beim Spielen auf Zehntelsekunden zu achten. Und haben im Laufe ihres Lebens immer viel Geduld gebraucht – für unzählige Übestunden, bis die Finger von allein laufen und alles gut im motorischen Gedächtnis verankert ist. Zeitliche Präzision ist beim Reisen nicht immer gewährleistet, Geduld jedoch eine ideale Eigenschaft: Unser Reise von Köln nach Graz war sowohl für unsere Flug- als auch Zugreisenden einige Stunden länger als gedacht, aber gegen Abend sind (fast) alle im Süden angekommen.
Graz, Hauptstadt der Steiermark, war 2003 bereits Europäische Kulturhauptstadt, hat eine Altstadt voller k.u.k.-Charme, originellen kleinen Läden and ausgezeichneten traditionellen Restaurants, die uns für die Mühen der Anreise mehr als entschädigt haben. Außerdem hat es natürlich den schönen Stefaniensaal, in dem wir Montag und Dienstag unsere Konzerte geben.
Oft wird gefragt, wie das eigentlich mit dem Proben und Üben auf Tour ist: Eigenverantwortlich gespielt wird immer – ob im Hotel, wo einem Geigenläufe oder Flötensoli entgegentönen, wenn man den Flur entlangläuft. Oder im Zug, wo Blechbläser ihre Mundstücke zücken und zwischen zwei Waggons rountiniert ihre Ansatzübungen absolvieren, die nur als leises Schnurren hörbar sind. Für alle geht es darum, fit zu bleiben.
Gemeinsame Probenzeit aber hat ein Profiorchester wie das Konzerthausorchester viel weniger, als man vielleicht annimmt – wieviel, ist genau im Dienstplan geregelt. Insbesondere Repertoirestücke wie Beethoven und Brahms „sitzen“ schon seit dem Studium bei allen.
Gemeinsam gearbeitet wird dann immer an der Interpretation, also beispielsweise an Tempi, Lautstärkeabstufungen und Übergängen. Das Orchester stellt sich jedes Mal auf die Interpretation der aktuellen Dirigentin oder des aktuellen Dirigenten ein. Eine enorm wichtige Rolle spielt die Akustik eines Saals, die auf der Bühne oft ganz anders klingt als im Parkett oder im Rang. Und im vollen Saal anders als im leeren!
Joana Mallwitz muss all diese Details im Blick behalten, in ihre Interpretation einbeziehen und dem Orchester angeben. Deshalb ging es Montagnachmittag auch erneut zu einer Anspielprobe: Im Stefaniensaal ist nämlich alles wieder ganz anders als zuvor in der Kölner Philharmonie oder daheim im Konzerthaus.
Anspielprobe im Stefaniensaal – im Unterschied zum Konzert in Köln steht abgesehen von Brahms' Violinkonzert nicht Beethovens „Eroica“, sondern seine Sinfionie Nr. 7 auf dem Programm. Dazu kommen Mozarts Deutsche Tänze, bei denen unser Solo-Piccoloflötist Daniel Werner einen virtuosen Einsatz hat!
Vergoldungen, Holzvertäfelungen und leise knarrende Dielen, eine Orgel auf der Bühne und verwinkelte Gänge dahinter – nach dem luftigen postmodernen „Weinberg“ der Kölner Philharmonie aus den 1980er Jahren fühlen wir uns in der gemültlichen rechteckigen „Schuhschachtel“ (so sagt man tatsächlich) des Stefaniensaals von der Wende des vorletzten Jahrunderts schon wieder ein bisschen mehr wie am Gendarmenmarkt.
Während das Orchester in den Garderoben die Instrumente auspackt, warten freundliche grüne Polsterstühle auf diejenigen von uns, die (Teilen) der Anspielprobe im Parkett lauschen, weil sie bei einem Stück nicht besetzt sind oder zur „Begleitmannschaft“ gehören: Intendant Sebastian Nordmann, Orchesterdirektor Ulf Werner, zwei Mitarbeiter von Joana Mallwitz und wir aus der Kommunikation – Social Media Managerin Eleonora Gelmetti und Textreadakteurin Annette Zerpner.
Wie klingt es hier, ist die alle bewegende Frage, für deren Klärung wie immer nicht allzuviel Zeit ist, bevor der ausverkaufte Saal für das Publikum geöffnet wird. Das ist gut gelaunt, sehr freundlich und auffällig österreichisch-elegant gekleidet – in Berlin bevorzugen viele Konzertbesuchende einen etwas lässigeren Stil, was auch völlig in Ordnung ist. Am Ende gibt es an unserer zweiten Tourneestation wieder langen begeisterten Applaus für Dirigentin, Solist und Orchester.
Das „Heimspiel“ an der zweiten Tourneestation hat unser Solo-Pauker Michael Oberaigner. Er stammt aus Innsbruck, ist aber der einzige Österreicher unter uns. Zwar hat die Steiermark, das „grüne Herz“ der Alpenrepublik, nicht so viele Felsen zu bieten wie seine engere Heimat, aber „man fährt nur 10 Minuten aus der Stadt heraus und ist schon in der Natur und zwischen Bergen“. Nach einem völlig verregneten Montag scheint heute die Sonne, und nach dem ersten Konzert gestern ist ein bisschen Zeit für Erholung ohne große Pläne: „Ich werde einfach drauflosgehen.“
In Berlin vermisst Michael manchmal die Berge – und bestimmte Lebensmittel, mit denen er nach Besuchen bei seinen Eltern auf dem Rückweg das Auto vollpackt: „Ein simples Beispiel ist Knödelbrot. Das sind kleingeschnittene alte Semmeln, aus denen man Speckknödel macht. In Tirol ist das das Landesgericht. In Berlin müsste ich kistenweise alte Schrippen beim Bäcker aufkaufen.“ Was sicher zu entspechenden Berliner Kommentaren führen würde!
Die Antwort auf diese Frage haben wir nicht herausgefunden, aber mit unserer 1. Konzertmeisterin Sayako Kusaka eine sehr verdiente gemütliche kleine Runde durch die Grazer Altstadt gedreht.
Zur seit über 450 Jahren bestehenden Hofbäckerei Edegger-Tax konnte sie uns sogar führen, denn sie ist gestern schon auf einen Sprung dort gewesen! Die Güte der Vanille-Kipferl und anderer Backwaren hat sich nämlich bis in japanische Medien herumgesprochen. Und weil man dort Qualität sehr zu schätzen weiß, wurde sogar eine Zweigstelle in Kyoto eröffnet! Aber am Originalort essen sich die Kipferln einfach am allerbesten. Das gilt auch für das hervorragende original Wiener Schnitzel, von dem Sayako uns vorgeschwärmt hat. Das ist hier aus Kalbfleisch.
Und wie geht es weiter? Am Mittwoch sind wir den ganzen Tag mit dem Zug nach Nürnberg unterwegs. Dort spielen wir Donnerstagabend unser nächstes Konzert.