Amsterdam Sinfonietta

von Barbara Gugisch 30. März 2025

Teilen

Inhalt

Amsterdam Sinfonietta
Candida Thompson Violine und Leitung
Bruce Liu Klavier

Fryderyk Chopin (1810–1849)
Grande Polonaise brillante précédée d’un Andante spianato G-Dur op. 22
Andante spianato. Tranquillo
Polonaise. Molto allegro – Meno mosso

 

Pjotr Tschaikowsky (1840 – 1893)
Streichsextett d-Moll op. 70 „Souvenir de Florence“
(Fassung für Streichorchester)
Allegro con spirito
Adagio cantabile e con moto – Moderato – Tempo I
Allegretto moderato
Allegro vivace


Pause

 

Mieczysław Weinberg (1919 – 1996)
Aria für Streicher op. 9
Larghetto
 

Fryderyk Chopin
Konzert für Klavier und Orchester f-Moll op. 21
Maestoso
Larghetto
Allegro vivace

 

In Zusammenarbeit mit der Konzertdirektion Goette

Sehnsucht nach Frieden

Weinbergs Aria op. 9

Als Hitler-Deutschland Polen am 1. September 1939 überfiel, ergriff Mieczysław Weinberg sofort die Flucht. Der junge Musikstudent, der gerade noch sein Pianisten-Examen am Warschauer Konservatorium hatte absolvieren können, ging zu Fuß in Richtung Osten, da die deutsche Wehrmacht das Land von Westen und Süden aus überrannte – Geld für eine Schiffspassage hatte der damals 19-Jährige nicht. Seine Familie, die Eltern und seine zwei Jahre jüngere Schwester, wurde kurze Zeit später in Warschau ermordet. Weinberg setzte sich nach Minsk ab – weil er Jude war, verpasste man ihm in seinen sowjetischen Papieren den Vornamen „Moisej“ –, wo er bei Wassilij Solotarjow, einem Schüler Balakirews und Rimsky-Korsakows, Komposition studierte. 1941, als Hitlers Truppen auf breiter Front zwischen Ostsee und Karpaten im „Unternehmen Barbarossa“ die Sowjetunion überfielen, musste er erneut vor der deutschen Wehrmacht fliehen – diesmal ins ferne Usbekistan, wo er in Taschkent als Korrepetitor an der Oper arbeitete. Dmitri Schostakowitsch, beeindruckt von Weinbergs Erster Sinfonie, sorgte persönlich dafür, dass dieser eine Aufenthaltsgenehmigung für Moskau erhielt.

Zehn Jahre nach der Übersiedlung in die sowjetische Hauptstadt wurde Weinberg auf dem Höhepunkt der von Stalin und der Geheimpolizei frei erfundenen und antisemitisch motivierten „Verschwörung der Kremlärzte“ im Jahr 1953 verhaftet: Seine Frau war eine enge Verwandte von Miron Wowsi, dem Leiter der Botkin-Klinik im nördlichen Zentrum von Moskau. Er war der Hauptangeklagte bei dem Schauprozess gegen die „Mörder in weißen Kitteln“, die angeblich als „von amerikanischen Geheimdiensten gekaufte Terroristengruppe“ („Prawda“) die oberste sowjetische Politik- und Militärführung unterminieren wollten. Weinberg wurde in das berüchtigte Lubjanka-Gefängnis in den Kellern des KGB Hauptquartiers gebracht, woraufhin sich Schostakowitsch mit einem Brief an den Geheimdienst-Chef Lawrenti Beria für ihn einsetzte. Dass Weinberg überlebte, hatte er allerdings nur Stalins plötzlichem Tod zu verdanken.

Weinberg hinterließ Unmengen von fantasievoller, vielseitiger und fesselnder Musik, die schon Dirigenten wie Kirill Kondraschin und Rudolf Barschai fest in ihrem Repertoire hatten. Sein Werkkatalog enthält neben 26 Sinfonien, 17 Streichquartetten und 28 Sonaten für unterschiedliche Besetzungen auch sieben Opern, viele Konzerte, Lieder, Klavierstücke und Filmmusik. Die Aria op. 9 entstand als einer von zwei einzelnen Quartettsätzen zwischen dem zweiten und dritten Streichquartett 1942 in Taschkent: ein rund fünfminütiges, drei Jahre später für Streichorchester gesetztes Stück, das inmitten der Katastrophe von Zweitem Weltkrieg und Holocaust die Sehnsucht nach einer besseren Welt besingt.

Musikalische Bekenntnisse

Chopins f-Moll-Konzert op. 21

Im Juli 1829 reiste Fryderyk Chopin aus Warschau über Krakau nach Wien – mit einem Koffer voller Noten und ziemlich gemischten Gefühlen zwischen Zuversicht und Lampenfieber. Die Musikmetropole sollte nämlich ein Sprungbrett zur internationalen Karriere des damals 19-Jährigen werden, der (obwohl er sein Musikstudium gerade erst beendet hatte) in seiner polnischen Heimat bereits als Klaviervirtuose gefeiert wurde. Chopin gab zwei öffentliche Konzerte, mit euphorischen Reaktionen bei Publikum und Presse. Seiner Familie nach Warschau berichtete er mit Understatement, er sei „nicht ausgepfiffen“ worden.Im gleichen Sommer begann Chopin mit der Komposition seines ersten Klavierkonzerts f-Moll – noch vor dem später als Nummer eins gezählten e-Moll-Konzert, das die niedrigere Opuszahl 11 nur aufgrund der früheren Drucklegung erhielt.

Seinem engsten Freund Tytus Woyciechowski schrieb er, dass er mit seinem „zweiten Ich“, wie er das Klavier nannte, Dinge ansprechen könne, die er mit Worten zu sagen nicht in der Lage wäre. Und wirklich wird das Publikum auch im f-Moll-Konzert vom Tasteninstrument so spontan, persönlich und direkt angesprochen, dass es sich dem „Erzählten“ kaum entziehen kann – allen voran im langsamen zweiten Satz, in dem Chopin dem im orchestralen Szenenbild monologisierenden Klavier seine innersten Gefühle anvertraute: sehnsüchtig, zärtlich, fragend, drängend, grübelnd, klagend und bittend. Die Musik spiegelt seine heimliche Liebe zur 19-jährigen Konstancja Gładkowska, einer Gesangstudentin, die der Komponist am Warschauer Konservatorium bei einem Konzert am 21. April 1829 kennengelernt hatte. Im Oktober schrieb er an Tytus Woyciechowski: […] ich habe schon, vielleicht zu meinem Unglück, mein Ideal, dem ich treu diene, obwohl ich schon seit einem halben Jahr nicht mit ihm gesprochen habe, von dem ich träume, zu dessen Gedenken das Adagio [gemeint ist das Larghetto] in meinem Konzert entstanden ist […].“

Aufgrund der sich zuspitzenden politischen Krise verließ Chopin am 2. November 1830 seine Heimat für immer und reiste über Breslau, Dresden und Prag zunächst erneut nach Wien, bis er sich in Paris niederließ. Kaum einen Tag zu früh, da am 11. November mit der Erstürmung des Belvederepalastes der Aufstand gegen die russische Okkupation begann, der im folgenden Herbst blutig niedergeschlagen wurde. Mit seinem f-Moll-Konzert hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits großen Erfolg gehabt, inklusive enthusiastischer Pressereaktionen. („Das Schicksal beschenkte die Polen mit Herrn Chopin, so wie die Deutschen mit Mozart.“) Neben dem Larghetto sorgten auch die Ecksätze für Begeisterung, in denen Chopin die polnische Volksmusik ungemein farbenfroh leuchtend in Szene setzte – vor allem im turbulenten Finale, in dem ein feuriger Oberek auf einen temperamentvollen Mazur und einen ruhigeren Kujawiak trifft.

À la russe

Tschaikowskys „Souvenir de Florence“

Das Streichsextett d-Moll op. 70 mit dem etwas irreführenden Titel „Souvenir de Florence“ ist das letzte größere Werk, das Pjotr Tschaikowsky vor seiner Sechsten Sinfonie geschrieben hat – nicht in Italien, sondern auf seinem südlich von Klin gelegenen Gut Frolowskoje: keine „italienische“, sondern russische Musik, die in den ersten Takten ohne Vorwarnung und mit geradezu orchestraler Wucht über die Hörer hereinbricht. Der Komponist hatte das Werk nur deshalb mit seinem Italienaufenthalt in Verbindung gebracht, weil ihm im Frühjahr 1890 das Hauptthema des langsamen Satzes in Florenz eingefallen war – während er an seiner Oper „Pique Dame“ arbeitete. Tschaikowsky komponierte das viersätzige Sextett, das heute in der Version für Streichorchester erklingt, weil er sich noch für die Ernennung zum Ehrenmitglied der St. Petersburger Kaiserlichen Kammermusikgesellschaft im Jahr 1886 bedanken wollte – kein leichtes Unterfangen, wie er gegenüber seinem Bruder Modest bekannte: „Schwierigkeiten bereitet mir nicht der Mangel an Ideen, sondern die Neuheit der Form. Es sind sechs selbstständige und dabei gleichwertige Stimmen nötig. Das ist unwahrscheinlich schwierig. Haydn konnte diese Problematik nicht überwinden. Außer für Quartett schrieb er keine derartige Kammermusik.“ Tschaikowsky gelang es schließlich, alle Hürden zu überwinden und in erstaunlich kurzer Zeit, ein echtes Meisterwerk zu schreiben: ein Stück, das an keiner Stelle „gearbeitet“ wirkt und die Möglichkeiten der Sechserbesetzung raffiniert und in allen Facetten ausschöpft.

Im dramatischen Tonfall von „Pique Dame“, deren Instrumentierung Tschaikowsky gerade erst vollendet hatte, beginnt das einleitende Allegro con spirito, in dem nur das kantable Seitenthema zeitweilig für Entspannung sorgt. Melancholisch abschattiert ist das folgende Adagio cantabile e con moto, denn bereits die massiven Akkordfortschreitungen in der Einleitung machen deutlich, dass es hier um mehr geht als um ein bloßes Ständchen – trotz der folgenden gitarrenartigen Pizzicato-Begleitung, über der ein etwas zu ernstes Thema erklingt. Am Ende scheint die Musik vergangenes Glück zu beschwören, bis die Erinnerung nach einem gespenstisch-huschenden Zwischenspiel und der Wiederkehr der vermeintlichen Serenaden-Musik im vierfachen Piano verblasst. Es folgt ein Intermezzo samt Trio (Allegretto moderato), in dem die anfangs stilisierte Leierkasten-Begleitung der Bratschen-Melodie für ein typisch russisches Klangkolorit sorgt. Auch das Finale klingt wie von russischer Volksmusik inspiriert, wobei den Satz zwei Themen dominieren, ein volksliedhaftes, das später fugiert wird, und ein lyrisches, bevor die Musik mit einer furiosen Stretta ihrem Ende entgegensteuert.

Paganini des Klaviers

Chopins Grande Polonaise und Andante spianato

Bereits der Titel der Grande Polonaise brillante précédée d’un Andante spianato, wie Chopin sein Opus 22 nannte, verspricht Großes. Man wird nicht enttäuscht, denn das Polonaisen-Hauptstück gehört zum Virtuosesten, was der von den Zeitgenossen als „Paganini des Klaviers“ gefeierte Jahrhundertpianist je zu Papier gebracht hat. Damit diese mit allen technischen Schwierigkeiten gespickte Demonstration klavieristischer Kunstfertigkeit im „Style brillante“ nicht allzu aufdringlich daherkommt, stellte Chopin dem zunächst separat entstandenen Stück die zarte Träumerei eines einleitenden Andantes an die Seite, dessen Zurückhaltung er mit dem Attribut „spianato” (geebnet) untermauerte. Was meint: ein Andante, das schlicht, ungekünstelt und unpathetisch sein möchte, als lyrischer Ruhepol vor dem folgenden Sturm. Um dem Geschmack seiner Zeit zu gefallen, ergänzte Chopin das Stück durch eine Orchesterbegleitung, die allerdings ziemlich übersichtlich ausfiel: Von fünf kurzen Zwischentakten abgesehen, hat sie nur noch harmonisch stützende Funktion und ist praktisch kaum zu bemerken (im einleitenden Andante spianato fehlt sie ganz). Weil sich die kurzen Sequenzen, die dem Orchester allein anvertraut sind, leicht aufs Klavier übertragen lassen, ist das Werk längst in das Solorepertoire eingegangen und mittlerweile viel häufiger in Rezitals als in Orchesterkonzerten zu hören.

Amsterdam Sinfonietta

Das aus 23 Musikern bestehende Orchester begeistert mit überraschenden Programmen in der ganzen Welt. Es spielt das gesamte Repertoire für Streichorchester, von klassischen Meisterwerken bis hin zu neu in Auftrag gegebenen Werken und Bearbeitungen und sucht auch den Austausch mit anderen musikalischen Genres und Kunstformen wie Film, Tanz und Theater. Die Amsterdam Sinfonietta wurde 1988 unter der künstlerischen Leitung von Lev Markiz gegründet und hat sich, seit Candida Thompson 2003 die Leitung übernahm, zu einer festen Größe in den europäischen Konzertsälen entwickelt. Tourneen führten durch Europa, Asien, Amerika und Australien. Das Ensemble arbeitet unter anderem mit Janine Jansen, Sol Gabetta, Kian Soltani, Thomas Hampson, Fazil Say, Beatrice Rana, Angélique Kidjo oder Rufus Wainwright zusammen und produziert neben seinen Konzerten regelmäßig Alben ein und Musikfilme. Seit 2004 erschienen sechzehn Alben beim eigenen Label Channel Classics, darunter „The Mahler Album“, „The Argentinian Album“, „Formidable!“ und zuletzt Werke von Pärt und Bach. Auch für die Labels ECM, Sony Classical und Deutsche Grammophon wurden CDs aufgenommen. Dem ersten Musikfilm der Amsterdam Sinfonietta „Strings“ (2020) folgten zahlreiche weitere; im vergangenen Herbst unter anderem mit „One Zero Six Zero“ eine filmische Adaption von Bachs Doppelkonzert c-Moll. Im Rahmen der Sinfonietta Academy haben junge talentierte Musiker die Möglichkeit, Erfahrungen im Ensemblespiel zu sammeln. Darüber hinaus führt das Orchester jedes Jahr Tausende von Kindern an klassische Musik und Streichinstrumente heran. Die Amsterdam Sinfonietta ist ein Tourneeorchester der KD Schmid.

Candida Thompson

studierte Violine bei David Takeno an der Guildhall School of Music in London sowie am Banff Center for the Arts in Kanada und besuchte Meisterkurse unter anderem bei Isaac Stern. Einladungen führten sie zum Chamber Orchestra of Europe, der City of London Sinfonia, dem Guildhall String Ensemble, der Camerata Nordica, dem Mahler Chamber Orchestra und der Camerata Salzburg. Mit der Amsterdam Sinfonietta, deren künstlerische Leiterin sie seit 2003 ist, etablierte sie eine Konzertreihe in den Niederlanden, unternahm weltweit Tourneen und spielte zahlreiche CDs ein. Als Kammermusikerin zählt sie unter anderem Bruno Giuranna, Xenia Yankovich, Harriët Krijgh, Alexander Gavrylyuk, Victor-Julien Laferrière, Iris Juda und Janine Jansen zu ihren Partnerinnen und Partnern und ist Gast auf renommierten Festivals in Europa und den USA. Ihr großes Interesse an gegenwärtigen kulturellen Entwicklungen und am künstlerischen Dialog führte auch zu Projekten mit zeitgenössischen Komponisten, mit Philosophen, Fotografen, Tänzern, Schauspielern und Lichtdesignern. An Institutionen wie Villa Musica Chamber Music oder der Guildhall School gibt sie ihr Wissen an junge Talente weiter. Candida Thompson spielt eine Guarneri del Gesù, die ihr freundlicherweise von einem privaten Sammler zur Verfügung gestellt wurde.

Bruce Liu

ist Erster Preisträger des 18. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs 2021 in

Warschau. Als Focus Artist des Rheingau Musik Festivals 2024 trat er in Solo-Rezitalen, mit Kammermusik und bei Konzerten mit dem hr-Sinfonieorchester, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Tonhalle-Orchester Zürich auf.

Zu Höhepunkten dieser Saison zählen auch Tourneen unter anderem mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg, dem London Symphony Orchestra, den Wiener Symphonikern, dem Orchestre National de France, der Academy of St Martin in the Fields und der Amsterdam Sinfonietta, das Debüt mit dem Boston Symphony Orchestra beim Tanglewood Music Festival sowie Konzerte mit dem Cincinnati Symphony, dem Houston Symphony, dem Minnesota Orchestra, dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia und dem Royal Philharmonic Orchestra. Bereits zuvor war er Solist bei Spitzenorchestern wie dem Los Angeles Philharmonic, dem San Francisco Symphony, dem Philadelphia Orchestra, dem Orchestre symphonique de Montréal, dem Philharmonia Orchestra London und dem NHK Symphony Orchestra. Mit Soloabenden kehrt er in die Carnegie Hall, das Théâtre des Champs-Elysées und das Concertgebouw Amsterdam zurück, debütiert im Wiener Musikverein und im Prinzregententheater München und tritt bei zahlreichen Festivals auf. Als Exklusiv-Künstler der Deutschen Grammophon wurde er mit dem Opus Klassik Preis „Nachwuchskünstler des Jahres” 2024 für sein Debüt-Studioalbum „Waves” ausgezeichnet.

Bruce Liu studierte Klavier bei Richard Raymond und Dang Thai Son. Geboren in Paris als Sohn chinesischer Eltern und aufgewachsen in Montréal, schöpft er für seine Kunst ebenso aus europäischen und nordamerikanischen Quellen wie aus der großen Tradition der chinesischen Kultur.

Unsere Konzertempfehlungen

Hörbeispiel

Weiterleitung

Für diese Veranstaltung erhalten Sie Tickets nicht über unseren Webshop. Sie werden daher auf eine externe Seite des Veranstalters weitergeleitet. Falls Sie Buchungen auf konzerthaus.de nicht abgeschlossen haben, verfallen diese nach 20 Minuten.

Abbrechen