11.00 Uhr
Familienführung
Konzerthausorchester Berlin
Christoph Eschenbach Dirigent
ARNOLD SCHÖNBERG (1874 – 1951)
„Verklärte Nacht“ op. 4 (Fassung für Streichorchester)
PAUSE
ANTON BRUCKNER (1824 – 1896)
Sinfonie Nr. 7 E-Dur
Allegro moderato
Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam
Scherzo. Sehr schnell
Finale. Bewegt, doch nicht schnell
Kaum etwas lässt uns heute so viel über die europäische Musikwelt des 19. Jahrhunderts lernen wie der sogenannte „Parteienstreit“ – eine erbitterte Feindschaft zwischen den Traditionalisten, angeführt von Johannes Brahms, und der „Neudeutschen Schule“, mit ihrem gottgleich verehrten Primus Richard Wagner. Mittendrin Anton Bruckner, fanatischer Wagnerianer und dadurch sinfonischer Antipode zu Brahms, der nur allzu gern gegen ihn stichelte. Ohne Wagner wäre Bruckners gesamtes Hauptwerk, aber insbesondere die siebte Sinfonie unmöglich zu denken. Gleichzeitig nahmen auch die ständigen Angriffe aus dem Brahms-Lager ungeheuren Einfluss auf Bruckners Laufbahn und mitunter seine Kompositionsweise. Mit einer Art Versöhnungskonzert für Bruckner im Jahr 1896 legte zumindest Brahms selbst kurz vor Lebensende beider Komponisten den Streit bei, die Musikwelt, insbesondere in Wien, blieb jedoch gespalten. So ist es schier unglaublich, dass dort ein junger Arnold Schönberg nur drei Jahre später mit seiner spätromantischen Gedichtvertonung „Verklärte Nacht“ wie eine Art musikalischer Friedensvertrag starke Einflüsse beider Lager aufweist – die „neudeutsche“ Programmmusik mit wagnerscher Leitmotivtechnik und dessen chromatischen Harmoniefolgen sowie die durch Brahms geprägte entwickelnde Variation im Gegensatz zur klassischer Themenbildung. So sind Bruckner und Schönberg, auch wenn sie sich womöglich nie begegnet sind, in ihrer Biografie eng miteinander verbunden.
Anton Bruckners 7. Sinfonie E-Dur
Es war Eduard Hanslick, gefürchteter Musikkritiker und erklärter Brahms-Aficionado, der Bruckners siebte Sinfonie „unnatürlich, krankhaft und verderblich“ nannte und mit dem Prädikat „sinfonische Riesenschlange“ versah. Es war Brahms‘ Stammdirigent Hans von Bülow, der Bruckner als „halb Genie, halb Trottel“ bezeichnete. Und es war Brahms selbst, der sagte: „Bruckner ist ein armer, verrückter Mensch. Aber er hat Glück, dass er dumm ist“. Bruckner selbst feuerte nie wirklich zurück, ertrug den Spott in stiller Frömmigkeit und verließ sich auf wortgefechtserprobtere Kollegen wie Wagner. Dessen Werke lernte Anton Bruckner 1863 kennen. Der schon knapp vierzigjährige Komponist hörte in seiner ersten Wirkungsstätte Linz den „Tannhäuser“ und war wie ausgewechselt. Hatte er bis dahin nur reißbrettartige kleinere Werke sowie eine Studiensinfonie verfasst, begann er inspiriert von Wagner fieberhaft mit der Komposition großer Gattungen. Es gibt wohl kaum einen Komponisten, der so unvermittelt zu seiner persönlichen Tonsprache gefunden hat, lässt sich doch keine erkennbare Übergangsphase zwischen den Studienkompositionen und den folgenden „freien“ Werken erkennen. Das erste Durchbruchswerk war die Große Messe in d-Moll, die ihm in Linz schlagartig Berühmtheit verschaffte. Die Presse bescheinigte ihm hier bereits, dass ein wagnerscher Einfluss zu hören sei und war sich einig: dieser Bruckner wird bald große Sinfonien schreiben. Sie sollten Recht behalten, nur wenige Wochen später begann Bruckner mit der Komposition seiner ersten Sinfonie, die er 1864 fertigstellte, aufgrund schleppender Probenarbeit erst vier Jahre später zu einer mäßig erfolgreichen Uraufführung bringen konnte – zu schwer, zu viel, zu groß war diese Musik. Aufgrund vorrangig finanzieller Motivation verschlug es ihn ab 1868 nach Wien, wo er zwar große Erfolge als Organist feiern konnte, die Anerkennung als Komponist sollte aber weiterhin erst einmal ausbleiben. Ähnlich wie mit der ersten erging es ihm mit den Sinfonien zwei und drei, von denen ihm letztere wohl das niederschmetterndste Erlebnis seiner Komponistenlaufbahn bescherte: die Musiker, die sich bereits in den Proben lautstark über das Stück lustig gemacht hatten, spielten bei der Premiere teils absichtlich falsche Töne, sodass das ohnehin schon wenig rezeptive Wiener Publikum fluchtartig den Saal verließ. Einige wenige hartgesottene Zuhörer blieben bis zum Schluss, ganz allein war Bruckner also nie, auch wenn er seine Einsamkeit und Unverstandenheit regelmäßig in Briefen und Tagebucheinträgen beklagte.
Es ist das Jahr 1881, das schließlich die Wende für den Sinfoniker Bruckner bringt. Endlich, über sechs Jahre nach ihrer Entstehung, wird die vierte Sinfonie von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt und überzeugte Publikum und Presse gleichermaßen. Angefacht von diesem lang erwarteten Erfolgserlebnis begann Bruckner sogleich mit der Komposition seiner siebten Sinfonie (die Nummern fünf und sechs waren in der Zwischenzeit entstanden, aber blieben weitestgehend unbeachtet) und war im April 1883 beinahe fertig, als ihn die Nachricht vom Tod Richard Wagners erreichte. Der Wagner, der Bruckners kreativen Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Der „unerreichbare, weltberühmte und erhabene Meister der Dicht- und Tonkunst“ Wagner, dem er seine glücklose dritte Sinfonie „in tiefster Ehrfurcht“ gewidmet hatte. Der Wagner, der diese Widmung zwar angenommen, aber Bruckner ansonsten stets auf Abstand gehalten hatte. Dieser Wagner fand sich nun als letzte Ehre hineinkomponiert in den Schluss des Adagios der siebten Sinfonie, den Bruckner als „Trauer-Musik um den hochsel. Meister“ titulierte. Die besondere Rolle der Wagnertuben, die Bruckner zusätzlich zu den Hörnern besetzt, macht diese Widmung am deutlichsten. Während der erste Satz mit seinem aus einem Durdreiklang bestehenden Hauptmotiv ungewohnt lebensbejahende Klänge anschlägt, ist das folgende Adagio, wenn auch nicht explizit traurig, eines der bewegendsten Stücke der Musikgeschichte. Auch hier hält er das motivische Material simpel, im Fokus steht ein dreitöniges Motiv, das er im Verlauf des Satzes in unablässiger Steigerung durch nahezu alle Tonarten zirkulieren lässt, so dass man das Gefühl bekommt, der Himmel täte sich auf. Am Höhepunkt des Satzes erstrahlt ein Beckenschlag mit anschließendem Triangel-Triller von gleichermaßen monumentaler wie zerbrechlicher Schönheit, bei dem es selbst als Atheist schwerfällt, nicht an einen beethovenschen Götterfunken zu denken. Das Scherzo ist, typisch für Bruckner, sehr klassisch gehalten. Hier sind Angst und Stress die maßgebenden Affekte. Bruckner verarbeitet den Brand des Wiener Burgtheaters, in dessen Nähe sich auch seine Wohnung befand. In der panisch galoppierenden Streicherfigur hört man, wie Bruckner in Angst um seine Manuskripte nach Hause geeilt sein muss, während das markante Fanfarenmotiv in den Trompeten die Signalhörner der Feuerwehr widerspiegelt. Das Finale ist schließlich ein weiteres Paradebeispiel für Bruckners Fähigkeit, aus vordergründig einfachem Material maximal viel herauszuholen. Immer im Wechsel folgen ein fröhlich verspieltes Thema und brachial schreiende Tuttiausbrüche aufeinander, die sich den punktierten Rhythmus teilen. Auch hier treibt er im Mittelteil die Steigerung durch Modulationen und Crescendi auf die Spitze, bevor eine strahlende Coda, die Wagner nicht besser hätte schreiben können, der Sinfonie ihre Krone aufsetzt.
Bruckner wählte als Ort der Uraufführung nicht Wien, da er Angst hatte, sein Höhenflug würde wieder beendet werden, sondern ging nach Deutschland, wo das Werk 1884 in Leipzig und 1885 München durchschlagende Erfolge feierte. Wieder daheim wollte er mit einem Schreiben an die Wiener Philharmoniker eine Aufführung in Wien verhindern, „aus Gründen, die einzig der traurigen localen Situation entspringen in Bezug der maßgebenden Kritik, die meinen noch jungen Erfolgen in Deutschland nur hemmend in den Weg treten könnte“ und hielt sogar das Notenmaterial zurück, bis es dann Ende des Jahres als erst viertes seiner Werke in den Druck ging. Hanslick mauserte sich zeitlebens zu einer Art Erzfeind Bruckners, legte dessen Karriere Steine in den Weg, wo er nur konnte, verhinderte als universitärer Gutachter aktiv, dass Bruckner eine Stelle als Kompositionslehrer bekam, und zerriss jedes seiner Konzerte in der Presse, so auch die Siebte nach ihrer einzigen Wiener Aufführung zu Bruckners Lebzeiten 1886. Die achte Sinfonie (Uraufführung 1892) wurde so positiv wie kein anderes seiner Werke aufgenommen, Hanslick konnte er jedoch nie für sich gewinnen: „Alles fließt unübersichtlich, ordnungslos, gewaltsam in eine grausame Länge zusammen. […] Es ist unmöglich, daß diesem traumverwirrten Katzenjammerstyl die Zukunft gehört, – eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden“. Bei seiner Widmung der Achten an Kaiser Franz Josef erbat Bruckner auf dessen Frage, ob er noch einen Wunsch hege, sogar kaiserlichen Schutz vor Hanslick, der ihm jedoch verwehrt wurde. Die neunte und letzte Sinfonie blieb unvollendet, Bruckner starb 1896 mit 72 Jahren, bevor er das Finale fertigstellen konnte. Erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt bekam Bruckner die Anerkennung, die er sich immer gewünscht hatte.
Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht" op.4
Einen schweren Stand in der Wiener Musikwelt hatte auch Arnold Schönberg, dessen Laufbahn durch zahlreiche Skandale geprägt wurde. Der erste erfolgte bereits vor seiner bahnbrechenden Zwölftonphase, nämlich nur drei Jahre nach Bruckners Tod, im Jahr 1899. Der damals 25-jährige Schönberg verbrachte einen Herbsturlaub mit seinem Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky sowie dessen Schwester Mathilde, in die Schönberg sich verliebte und die er zwei Jahre später heiratete. Umnachtet von Emotionen und der Poesie Richard Dehmels, dessen Gedichtband „Weib und Welt“ von 1896 er bereits kennengelernt hatte, setzte er sich an den Schreibtisch und komponierte in nur drei Wochen ein Streichsextett mit dem Titel „Verklärte Nacht“. Basierend auf dem gleichnamigen Gedicht Dehmels beschreibt es aus Beobachterperspektive das nächtliche Zwiegespräch zwischen einer Frau, die sich schuldig fühlend erklärt, von einem Fremden schwanger zu sein, und ihrem Partner, der sie beruhigt und verspricht, das Kind wie sein eigenes anzunehmen. Abschließend wird eine sexuelle Zusammenkunft impliziert. Schönbergs Werk ist einsätzig, doch klar in fünf Abschnitte, analog zu den fünf Strophen des Gedichts unterteilt. Laut eigenen Anmerkungen von 1950 beschränkt er sich, statt kleinschrittig eine Handlung zu vertonen, darauf, „die Natur zu zeichnen und menschliche Gefühle auszudrücken“. Dadurch ließe sich das Werk auch als absolute Musik, also ohne den Kontext des Gedichts genießen, „das mancher heutzutage als ziemlich abstoßend bezeichnen würde“, so Schönberg.
Dehmel galt seinerzeit als einer der wichtigsten Lyriker, viele seiner Werke behandeln explizit das Thema Erotik – sehr zum Missfallen der feinen Wiener Gesellschaft, die die Uraufführung von Schönbergs Sextett nicht nur wegen dessen wagemutiger Klangsprache, trotz noch eindeutig tonaler Anlage, sondern auch aufgrund der anstößigen Vorlage weitestgehend ablehnte. In der Wiener Neuen Freien Presse hieß es: „einige zischten, andere applaudierten, im Stehparterre brüllten ein paar junge Leute wie die Löwen“. Schönbergs kompositorisches Talent gestand man ihm jedoch zweifelsfrei zu – vielleicht am begeistertsten äußerte sich Dehmel selbst: „Ich hatte mir vorgenommen, die Motive meines Textes in Ihrer Composition zu verfolgen; aber ich vergaß das bald, so wurde ich von der Musik bezaubert“. Schönberg selbst entschied sich bereits 1917 für eine Fassung für Streichorchester mit zusätzlicher Kontrabassstimme, die er 1943 noch einmal überarbeitete: „Die neue Version [...] wird das Gleichgewicht zwischen Ersten und Zweiten Violinen einerseits sowie Bratsche und Cello andererseits verbessern und die Balance der Originalfassung für Sextett mit sechs gleichwertigen Instrumenten wiederherstellen“. Die „Verklärte Nacht“ gehört heute in beiden Besetzungen zu den am häufigsten aufgeführten Werken Schönbergs.
Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz.
Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten inne hatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.
Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.
Christoph Eschenbach begann seine internationale musikalische Karriere als Pianist. Seit 1972 steht er außerdem als Dirigent am Pult der renommiertesten Orchester der Welt und ist Gast der bedeutendsten Opernspielstätten. Er wirkte als musikalischer und künstlerischer Leiter der Tonhalle-Gesellschaft Zürich sowie als musikalischer Direktor des Houston Symphony Orchestra, des NDR Sinfonieorchesters, des Orchestre de Paris und des Philadelphia Orchestra. Außerdem leitete er das Kennedy Center for the Performing Arts und das National Symphony Orchestra in Washington. Regelmäßig dirigiert er bei den Salzburger Festspielen und beim Schleswig-Holstein Musik Festival, wo er das Festivalorchester leitet. Seine Vielseitigkeit und sein großer Innovationsdrang brachten ihm als Dirigent, künstlerischem Partner und tatkräftigem Förderer junger Talente weltweite Anerkennung und zahlreiche höchste Auszeichnungen. Seit der Saison 2019/2020 bis 22/23 war er für vier Jahre Chefdirigent des Konzerthausorchesters.
Schnelle Fragen in einem sehr langsamen Aufzug
48 Sekunden inklusive Türen zu und wieder auf dauert die Fahrt im Aufzug Süd von der Pförtner-Loge im Erdgeschoss bis ganz nach oben – falls niemand zwischendurch rein oder raus möchte. Wenn unterwegs Instrumente eingeladen werden, lässt er ohnehin auf sich warten. Wer spät dran ist, nimmt also besser die Treppe. Manchmal ist seine entschleunigende Wirkung im Trubel zwischen Garderoben, Casino und Bühne aber auch genau richtig für eine Minipause. Oder ein paar kurze Fragen zwischendurch. Heute fahren wir rauf mit Maria Krykov, seit 2022 Solo-Kontrabassistin im Konzerthausorchester Berlin.
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