Damit alles stimmt #1 – Beim Bogenbauer

von Annette Zerpner –  Fotos: Karel Cudlin 21. Februar 2025

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© Karel Cudlin

Kleine Ursachen, große Wirkung – was trägt bei zu gutem Klang, haben wir Musikerinnen und Musiker des Konzerthausorchesters Berlin gefragt. In der ersten Folge begleiten wir Petr Matěják aus unseren Ersten Geigen zu seinem Bogenbauer Petr Auředník, der seine Werkstatt in der Nähe von Prag hat.

Wenn eine berühmte Meistergeige im Taxi vergessen oder aus einer Garderobe gestohlen wird, geht die Nachricht um die Welt. Dass sich im vermissten Instrumentenkasten auch (mindestens) ein Bogen befinden dürfte, wird selten und höchstens beiläufig erwähnt. Doch der trägt entscheidend dazu bei, wie eine Geige – ob berühmt oder nicht – klingt. Profis auf der Violine wissen das ganz genau. Der Violinvirtuose und Komponist Giovanni Battista Viotti hinterließ neben 29 Violinkonzerten und diversen anderen Werken für sein Instrument den Aphorismus „Le violon, c'est l'archet.“ („Die Geige ist der Bogen.“) Und in jedem Orchester gibt es Musiker, die sich mit Bögen intensiv beschäftigen und ihre Kolleginnen und Kollegen beraten können, wenn die über eine Neuanschaffung nachdenken. Im Konzerthausorchester ist darunter Petr Matěják aus den Ersten Geigen.

Auf Suche nach der idealen Geige-Bogen-Kombination

Die „ewige Suche“ nach einer idealen Version dieses fragilen, pferdehaarbespannten, kunstvoll in Form gebogenen Stücks Fernambukholz sei eine „Leidenschaft“, sagt Petr. Sie verbindet ihn – ebenso wie eine Begeisterung für die Finessen hochwertiger Autos – mit dem Bogenbauer Petr Auředník, der seine Werkstatt in Říčany u Prahy südöstlich von Prag hat. In der Nähe ist Petr Matěják aufgewachsen. Ab und zu packt er seine musikalischen Gelegenheitskäufe und Zufallsfunde in den Kofferraum und fährt von Berlin hinunter, um mit Petr A. den Klang zu beurteilen. „Überraschungen gibt es da immer wieder," sagt er, während wir jenseits von Dresden Richtung tschechische Grenze unterwegs sind. „Es ist auch ein bisschen Lotterie dabei.“

Wir halten vor einem  Einfamilienhaus in einem ruhigen grünen Viertel über der Kleinstadt Říčany u Prahy. Die kleine Werkstatt, in der Petr Auředník etwa alle zwei Monate in sorgsamer Handarbeit einen Bogen fertigstellt, hat er in seinem Wohnhaus eingerichtet. Viel braucht er nicht: Zwei Arbeitstische mit Werkzeugen, ein Gestell für Bögen, ein Regal mit Stereoanlage, eine kleine Plattensammlung unterschiedlicher Genres, die sich hinter einer Aufnahme von Dvoráks „Rusalka“ mit Václav Neumann und der Tschechischen Philharmonie einreiht. An einer Wand hängt ein zusammengebundener weißer Pferdeschweif herab, vom zweiten daneben sind nur noch ein paar Strähnen vorhanden.

Preissteigerung bei Bögen

Im Bogenbau haben sich die traditionellen Werkzeuge und Techniken des Bogenbaus seit Ende des 18. Jahrhunderts nicht groß verändert, erzählt Petr A. Die Rohstoffe auch nicht: Holz aus Brasilien und Pferdehaar aus Ostasien. Doch genau das erschwert sein Handwerk in den letzten Jahren zunehmend: „Importvorschriften* und Lieferschwierigkeiten“, fasst er die Misere zusammen und deutet auf einen kleinen Stapel zugeschnittener Blöcke Fernambukholz, denen eine Zukunft als Bögen bevorsteht: „Was man hier sieht, entspricht dem Wert eines guten Autos! Abgelagertes, hochwertiges Holz, das wollen alle, und man kriegt es kaum noch.“ Wenn ein Bogenbauer aus Altersgründen seinen noch nicht verbauten Vorrat auflöst, heißt es schnell sein.

Also werden Bögen aktuell immer teurer. Eine überzeugende Alternative zum einzigartig flexiblen und trotzdem stabilen, nur in Brasilien wachsenden Fernambukholz, das seine per Hand über einer Flamme gebogene Form in erkaltetem Zustand behält, hat man bisher nicht gefunden. Manche Geiger spielen Carbonbögen, aber Klangvorstellungen seien eben sehr unterschiedlich, meint Petr M.: „Für mich korresponiert Carbon nicht mit der Hand.“

Auch die Pferdeschweifhaare, von denen lediglich helle für die Bogenbespannung in Frage kommen und das auch nur innerhalb von anderhalb Jahren nach dem Schnitt, machen zur Zeit Ärger: Sie treffen nur in spärlicher Menge aus der Mongolei ein. Da es sich aber auf die Qualität der Haare auswirkt, wo und wie die Pferde aufwachsen, sei man auf den Bezug von dort angewiesen, bedauert Petr Auředník.

Ein Gespür für Klang und Freude am Schnitzen

Er  spielt selber kein Streichinstrument, hatte jedoch schon immer ein gutes Gespür für Klang. Als Kind hat es ihm Freude gemacht, kleine Flöten und andere Dinge aus Holz zu schnitzen. Es war die Idee seiner Mutter, dass er Geigenbauer werden könnte – und die der Geigenbauschule, sich auf Bögen zu spezialisieren: „Geigen wollten alle bauen.“ Er ließ sich darauf ein. Bis heute macht ihn das glücklich, auch wenn er den Bogenbau inzwischen in Teilzeit betreibt und außerdem eine Stelle in der städtischen Administration hat: „Es ist eine Kunst. In der Schule habe ich nur gelernt, wie man die Werkzeuge hält. Erst im Austausch mit den Musikern eignet man sich über die Jahre an, was alles dazugehört, damit ein Bogen ein richtig guter Bogen wird.“

Idealgewicht

Wenn er im Orchester viel und lange am Stück spielt, ist für Petr M. wirklich wichtig, dass sein Bogen nicht zu schwer ist – wenn er Kammermusik oder als Solist spielt, stört ein etwas höheres Gewicht nicht:  „Im Orchester sind 58 Gramm für mich ideal. Drei Gramm mehr machen viel aus, schon eines mehr merke ich. Mit einem zu schweren Bogen spielt man sich kaputt.“ Großen Einfluss auf einen guten Klang hat das von der Holzdichte bestimmte Gewicht des Bogens nicht, so Petr. Aber es spielt eine wichtige Rolle für die technische Beherrschung der Geige – je leichter, desto weniger Mühe hat man mit technischen Passagen. Für den Bewegung des Bogens auf den Saiten kommt es darauf an, wo genau sein Schwerpunkt liegt.

... und Haarpflege

Der Bogenbauer kümmert sich übrigens auch um den „laufenden Betrieb“: Er spannt die individuell ideale Menge Pferdeschweifhaar auf den Bogen, die im besten Fall bereits nach wenigen Wochen wieder erneuert wird. Ein letztes Detail im Hinblick auf guten Klang ist die Zusammensetzung des Kolophoniums. Dank „Bogenharz“ haftet das Haar überhaupt erst auf den Saiten: Ohne Kolophonium gar kein Geigenton! Darum aber kümmern sich Streicher selbst – manche experimentieren sogar ausführlich damit.

Am Sonntagmorgen bewegt sich eine geigenkästenbeladene Kolonne durch Říčany u Prahy in Richtung Stadthalle. Im Erdgeschoss beugen sich Schachspieler über ihre Bretter. Im Saal im ersten Stock trifft sich dieses Mal eine richtige kleine Jury, denn Petr Matějáks Vater, ebenfalls Orchestergeiger, und zwei Freunde von Petr Auředník mit ausgezeichnetem Gehör kommen dazu.

Jeder Saal klingt anders

Ins Rennen gehen acht Geigen und neun Bögen – theoretisch 72 Möglichkeiten für überzeugenden Klang. Darunter sind neben Petrs Konzertgeige, einem zum Vergleich ausgeliehenen historischen Bogen aus Frankreich und zwei Bögen von Petr Auředník auch ein etwa 80 Jahre alter „50 Euro-Bogen“ und eine günstige, aber vielversprechende Violine, auf deren Abschneiden er besonders gespannt ist: „Allerdings hat jeder Saal eigene akustische Voraussetzungen – für mich als Geiger im Konzerthausorchester Berlin ist letztlich besonders wichtig, wie eine Kombination aus Geige und Bogen in unserem Großen Saal den Klang transportiert.“ Dort probiert er seine Fundstücke regelmäßig mit Kollegen aus.

Versonnen betrachtet der Geiger kurz die wie im Wartezimmer auf Stühlen auf der kleinen Bühne plazierten Geigen und die Bögen auf dem Tisch daneben: „Ich mag einfach diese Sammlung.“ Dann greift er zu und los gehts.mZuerst erfüllt das Tschaikowsky-Konzert den Saal. Dessen Anfang eignet sich besonders gut zum Ausprobieren: Alle vier Saiten kommen zum Einsatz, und diese Takte haben viele Klangfarben. Auch aus Passagen von Mendelssohns und Brahms' Violinkonzerten hören Petr M. und die „Jury“ Klangdetails besonders gut heraus.

Resonanz gesucht

Als er ohne Ankündigung auf der günstig antiquarisch erworbenen Geige mit dem 50 Euro-Bogen zu einem Bach-Arpeggio ansetzt, ertönt ein begeistertes „Oh“ aus der Reihe der vier Zuhörer. Petr Auředník hebt den Daumen: „Klang hat nicht notwendigerweise etwas mit dem Preis zu tun, nicht einmal bei einer 2 Millionen Dollar teuren Stradivari“, wird er später dazu sagen. „Den Ausschlag gibt, wie das Holz eines Bogens gebaut ist und wie es eine Geige zur Resonanz bringt.“

Nach gut zwei Stunden gibt Petr Matěják hochzufrieden eine Zusammenfassung des „Probespiels“: Die Fundstücke, die er mit dem Bach-Arpeggio ausprobiert hat, haben Potenzial. Und wie er sich gedacht hat, klingt seine französische Bernardel-Geige am besten mit seinem Auředník-Bogen. Woran liegt das?

Idealkombinationen

„Der Klang dieser Violine ist an sich dunkel und warm. Petrs Bogen dämpft die Saite nicht, sondern holt die Obertöne raus, weil das Holz sehr in Resonanz ist. Er lässt die Saite in idealer Amplitude schwingen. Wir haben ihn zum Beispiel mit dem Bogen einer unbekannten deutsche Manufaktur verglichen: Mit ihm klingt meine Geige noch dunkler als sonst, und der Klang hat deutlich weniger Obertöne. Daher ist er etwas stumm und trägt nicht so optimal ins Saal.“ Kombiniert mit einem alten französischen Meisterbogen, den er extra ausgeliehen hat, klingt sie den Zuhörern dagegen zu „nasal“. Auch eine Geige des tschechischen Geigenbauers Vladimir Pilař aus dem Jahre 1966 war im Rennen: „Sie hat einen sehr feinen Klang, der allerdings nicht so trägt wie die Bernadel-Geige. Auch sie hat von Petrs Bogen profitiert, weil die Obertöne hörbar sind, die mit einem anderen Bogen schnell verloren gehen. Sie braucht noch mehr als die Bernadel einen sehr gut passenden Bogen.“

... und ein Anlagetipp

Einige italienische Meistergeigen von Stradivari und Guaneri del Gesù wurden zuletzt für mehrere Millionen Euro versteigert. Manche verschwinden damit zumindest vorübergehend von den Konzertpodien, was nicht zuletzt aus Künstlersicht ein enormer Verlust ist. Bei Bögen hält François Tourte, ein Vater des modernen Bogens im späten 18. Jahrhundert, den bisherigen Preisrekord mit einem Exemplar für 570.000 Euro. Sind Bögen der nächste Anlagetipp? Petr M. lacht: „Ein hochwertiger französischer Bogen eines namhaften Bogenbauers aus dem 19. Jahrhundert mit einem Zertifikat ist inzwischen auf jeden Fall auch eine gute Wertanlage!“ Aber noch wichtiger ist natürlich, dass er zur Geige passt.

* Seit 2007 darf mit neu geschlagenem Fernambukholz nicht mehr gehandelt werden. Der Baum ist vom Aussterben bedroht. Die Bogenbauer-Initiative IPCI (International Pernambuco Conservation Initiative) hat angestoßen, dass in Kooperation mit brasilianischen Kakaofarmern Exemplare nachgepflanzt werden. Diese Art wächst jedoch sehr langsam.

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