15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz Dirigentin
Suyoen Kim Violine
Programm
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Sechs deutsche Tänze KV 509
Konzert für Violine und Orchester A-Dur KV 219
Allegro
Adagio
Rondeau. Tempo di Menuetto
PAUSE
Sinfonie C-Dur KV 425
(„Linzer Sinfonie“)
Adagio – Allegro spirituoso
Andante
Menuetto – Trio
Presto
Zu kaum einem anderen Komponisten wurde so viel geschrieben, veröffentlicht, geforscht, gemutmaßt und ergründet. Er war – anders als Bach – kommunikativ, lieferte die Erzählungen und Anekdoten zu seinen Werken von sich aus gleich mit. Er lebte ein intensives, kurzes Leben, war ein echter Workaholic und immer – anders als Beethoven – everybody’s darling. Und dadurch auch sympathischer und zugänglicher als Haydn. Trotzdem schaffen es einige seiner Werke selten ins Konzertprogramm. Weil so viele andere gute da sind, weil die heutige Konzertmode sich so sehr von der damaligen unterscheidet oder vielmehr in konventionellen Programmen kein Platz mehr für diese kleinen Schmuckstücke ist. Die „Deutschen Tänze“ etwa werden als zu simpel abgetan, Mozart komponierte sie für die Hausorchester der Prager Paläste, die meist aus der Dienerschaft heraus besetzt wurden. Das letzte Violinkonzert in A-Dur dagegen ist schon wieder zu elaboriert, weist viel deutlicher als die anderen in Richtung Oper und verlangt von den Ausführenden ein anderes Verständnis als die leichtfüßigeren Vorgängerwerke. Und die „Linzer Sinfonie“? Mozart soll sie in 96 Stunden komponiert und komplett ausgearbeitet haben – das kann doch nur Qualitätseinbußen bedeuten. Vorurteile halten sich lang, bei einer solchen Fülle von Werken, die uns Mozart hinterlassen hat, noch länger.
Sechs Deutsche Tänze KV 509
Wolfgang Amadeus Mozart liebte es zu tanzen. Seine Frau Constanze verriet dem gemeinsamen Freund Michael Kelly, der viele der berühmten Tenor-Rollen in Mozarts Opern übernommen hatte, dass ihr Mann das Tanzen sogar der Musik vorziehen würde. Damit war nur leider kein Geld zu machen.
In Wien, seit 1781 Lebensmittelpunkt Mozarts, boten sich dem Komponisten glücklicherweise sehr viel mehr Gelegenheiten, seiner Leidenschaft zu frönen, als in seiner Heimatstadt Salzburg. Tanzlokale an jeder Ecke, und zur Karnevalszeit wurden die riesigen Säle für Feste geöffnet, bei denen sich bis zu 3000 Tanzwütige in Reihen übers Parkett schoben.
Seinem Vater schrieb Mozart im Januar 1783: „und nun noch eine bitte, den meine frau lässt mir keinen fried; – sie wissen ohne zweifel daß izt fasching ist, und daß hier so gut wie in Salzburg und München getanzt wird; – und da möchte ich gerne |: aber daß es kein Mensch weis :| als Harlequin gehen – weil hier so vielle – aber lauter Eseln, auf der Redoute sind; – folglich möchte ich sie bitten mir ihr Harlequin kleid zukomen zu lassen –– aber es müsste halt recht gar bald seÿn – wir gehen eher nicht auf die Redoute, obwohl sie schon im grösten schwunge ist. – uns sind die Hausbälle lieber. – vergangene Woche habe ich in meiner Wohnung einen Ball gegeben. – versteht sich aber die chapeaus haben Jeder 2 gulden bezahlt. – wir haben abends um 6 uhr angefangen und um 7 uhr aufgehört; – was nur eine Stunde? – Nein Nein – Morgens um 7 uhr.“
Ein paar Jahre später verbrachte Mozart die Faschingszeit zufällig in Prag. Dort war seine Oper „Le nozze de Figaro“ schon seit Monaten der Dauerbrenner und er bekam dank einer Einladung der Familie Duschek die Gelegenheit, ein bisschen was vom Jubel um seine Person abzubekommen. Irgendwann landete er natürlich auch auf einem Karnevalsball und stellte fest: „wie alle diese leute auf die Musick meines figaro, in lauter Contretänze und teutsche verwandelt, so inig vergnügt herumsprangen; (…) gewis grosse Ehre für mich.“
Graf Johann Josef Pachta war ein großer Musikliebhaber und Mäzen der Stadt. Er residierte in einem Palais am Annaplatz, das Schauplatz der wichtigsten Karnevalsbälle Prags war. Und er bat Mozart mehrere Male darum, für das nächste große Event einige Tänze zu komponieren. Aber wie es so mit ihm war, fand der Komponist nicht die Ruhe und Muße dafür – Selbstorganisation und Disziplin waren nun wahrlich nicht seine Stärken.
Graf Pachta sah sich mit fortschreitender Zeit gezwungen, wieder den Komponisten zu zwingen. Er lud ihn zu einem Abendessen ein, eine Stunde früher als sonst. Als Mozart eintraf, ließ er ihn zu einem Zimmer führen, in dem alles bereit lag: Notenpapier, Tinte, Feder. Ob die Tür hinter Mozart wirklich abgeschlossen wurde, überlassen wir vielleicht eher der Legendenbildung. Mozart jedenfalls komponierte eine halbe Stunde lang und konnte an diesem 6. Februar 1787 die sechs Deutschen Tänze in sein Werkverzeichnis eintragen.
Ganz bewusst legte er sie als Einheit an, die ohne Pause und mit vorkomponierter Überleitung gespielt wird. Jeder einzelne dieser Walzer im Dreivierteltakt steht in einer anderen Tonart und ist unterteilt in Hauptteil und Trio. Körperlich spürbar ist der Spannungsaufbau vom aufreizend wippenden Anfang bis zum orchestral aufbauschenden Schluss, ein humorvoller Ritt durch Melodien und Rhythmen, der unweigerlich in die Füße fährt.
Konzert für Violine und Orchester A-Dur KV 219
1778 hatte Mozart keine Lust mehr auf Geige. „Nur eines bitte ich mir zu Salzbourg aus, und das ist: das ich nicht beÿ der violin bin, wie ich sonst war – keinen geiger gebe ich nicht mehr ab“, schrieb er seinem Vater in einem Brief aus Paris. Das wird Leopold Mozart zumindest einen kleinen Stich versetzt haben. Denn die Geige war sein Instrument, auf ihr hatte er dem kleinen Wolfgang Musik nahegebracht. Als Geigenpädagoge hatte er den „Versuch einer gründlichen Violinschule“ veröffentlicht, die schon allein wegen des Wunderkind-Sohns äußerst erfolgreich gewesen war.
1772 ernannte der Fürsterzbischof von Salzburg, Hieronymus Franz Josef von Colloredo, Wolfgang Amadeus Mozart zum besoldeten Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle. Das war auf der einen Seite gut; so kam regelmäßig Geld in die Familienkasse – andererseits bedeutete das auch ein Ende der finanziell großzügig durch den vorherigen Erzbischof unterstützten Reisen durch ganz Europa. Und ab diesem Zeitpunkt war die Geige unweigerlich Mozarts Instrument.
Zuerst fügte er sich bereitwillig dem Schicksal und stellte seine Aktivitäten in den Bereichen Klaviermusik und Oper ein. Er versorgte sich und weitere Geiger in der Hofkapelle mit konzertanter Violinmusik und baute in die Serenaden und Divertimenti, die er für die Festlichkeiten am Hof komponieren musste, ausgedehnte Geigensoli ein. Und er komponierte insgesamt fünf Violinkonzerte.
Das schönste, elaborierteste Werk dieser Hochphase ist sicherlich das Konzert in A-Dur. Mozart beendete es im Dezember 1775 – besinnliche Weihnachtsmusik hatte er allerdings eher nicht im Sinn. Auch hier wähnte er sich eher auf den Bällen der sich anschließenden Karnevalszeit. Gerade das Finale im „türkischen Stil“ hätte gut auf einen Maskenball gepasst.
Den dreisätzigen Konzertstil hatte Mozart auf seinen Italien-Reisen kennengelernt; Giuseppe Tartini und Antonio Vivaldi hatten es hier zu großer Berühmtheit gebracht. Aber Mozart wäre nicht Mozart, wenn er nicht auch hier einiges an Dramatik und Entertainment hinzugefügt hätte. Den Eröffnungssatz legte er in der Sonatenhauptsatzform an und baute damit ein großzügiges Fundament für eine interessante Unterhaltung von Solovioline und Orchester. So greift die Solistin das kraftvolle Eröffnungsmotiv des Orchesters zuerst nicht auf, sondern spielt ihr eigenes gesangliches Thema, das von säuselnden Tuttigeigen unterlegt wird und dadurch wie die Arie einer Primadonna wirkt. Diesen Einfall wiederholt Mozart auch gar nicht erst, was ihn noch besonderer und opernhafter wirken lässt.
Im langsamen Mittelsatz verdichtet Mozart die Beziehung der beiden Gesprächsbeteiligten. Seufzerfiguren ziehen sich wie ein Band durch das gesamte Stück, das für ein Salzburger Violinkonzert der Zeit eigentlich „zu studiert“ war, wie es Mozarts Kollege Antonio Brunetti, ebenfalls Konzertmeister der Hofkapelle, damals ausdrückte.
Weitaus beschwingter und unbeschwerter ist da das bereits erwähnte Finale, ein Rondo im „türkischen Stil“. Mozart übernahm hier einiges Material, das er für eine Ballettmusik zu seiner Opera seria „Lucio Silla“ zwar skizziert, aber nicht ausgeführt hatte. Das tat er erst später für „Die Entführung aus dem Serail“; dieser letzte Satz greift demnach auf das vor, was die Oper einige Jahre später zum Hauptthema hat.
Sinfonie C-Dur KV 425 („Linzer“)
Auf Einladung des Grafen Johann Joseph von Thun reiste Wolfgang Amadeus Mozart Ende Oktober des Jahres 1783 nach Linz. Hier war er als Wunderkind gefeiert worden, aber seit einigen Jahren nicht mehr gewesen. Am 4. November sollte er nun eine „academie“ geben, ein öffentliches Konzert zur Vorstellung. Dass er dafür natürlich bestenfalls ein neues Werk mitbrachte, fiel ihm leider ziemlich spät ein. „Dienstag als den 4:tn Novembr werde ich hier im theater academie geben. – und weil ich keine einzige Simphonie beÿ mir habe, so schreibe ich über hals und kopf an einer Neuen, welche bis dahin fertig seÿn muß“, vermeldete Mozart seinem Vater.
Vier Tage, 96 Stunden – das war selbst für einen Viel- und Schnellkomponisten wie Mozart eine Herausforderung. Skizzieren, komponieren, einzelne Stimmen ausschreiben, alles rechtzeitig an die Notenkopisten geben, probieren wollte man sicherlich auch noch… Wer jetzt aber ein dahingehuschtes Stück erwartet, kennt Mozart schlecht. An keiner einzigen Stelle merkt man dieser Sinfonie an, dass sie unter Zeitdruck entstanden ist – und schon gar nicht hat Mozart zu bewährten Mustern aus der Routinekiste gegriffen.
Vielmehr griff er nach seinem Skizzenbuch. Hier hatte Mozart Themen notiert, die aus den Sinfonie-Einleitungen seines Vorbilds Joseph Haydn stammten. Einfach abkupfern war aber natürlich nicht seins. Denn die Einleitung der „Linzer Sinfonie“ ist so einzigartig in ihrer majestätischen Langsamkeit – so weit war Joseph Haydn damals in seinem Schaffen noch nicht gekommen. Sein Duktus war auch ein ganz anderer: bescheiden und einfach. Mozart dagegen war es von Kindheit an gewohnt, aufzutreten und im Mittelpunkt zu stehen. So wie diese ersten Takte des ersten Satzes.
Im zweiten Satz herrscht vordergründig Heile-Welt-Stimmung in F-Dur und wiegendem Rhythmus. Wären da nicht die Trompeten und Pauken, die – absolut untypisch für einen langsamen Satz – einen Hauch von Unheil am Horizont auftauchen lassen.
Das Menuett zieht harmlos, aber freundlich grazioso vorüber, bevor das finale Presto losrennt – ohne Rücksicht auf Verluste nimmt es jede kontrapunktische Kunstfertigkeit mit und ist einfach ein spaßvoller Triumph über jede Art von Missbilligung.
Die „Linzer Sinfonie“ – in vier Tagen niedergeschrieben, ausgeschrieben, einstudiert und aufgeführt – sollen die in Salzburg doch ihre schlechte Laune behalten!
Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz. Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten innehatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.
Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.
Mit Beginn der Saison 2023/24 ist Joana Mallwitz Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin.
Spätestens seit ihrem umjubelten Debüt bei den Salzburger Festspielen 2020 mit Mozarts „Così fan tutte“ zählt Joana Mallwitz zu den herausragenden Dirigent*innenpersönlichkeiten ihrer Generation. Ab 2018 als Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg tätig, wurde sie 2019 als „Dirigentin des Jahres“ ausgezeichnet. In den vergangenen Jahren war sie an der Nationale Opera Amsterdam, dem Opera House Covent Garden, an der Bayerischen Staatsoper, der Oper Frankfurt, der Royal Danish Opera, der Norwegischen Nationaloper Oslo und der Oper Zürich zu Gast.
Konzertengagements führten sie zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, HR- und SWR-Sinfonieorchester, den Dresdner Philharmonikern, dem Philharmonia Orchestra London, den Münchner Philharmonikern, dem City of Birmingham Symphony Orchestra, dem Orchestre National de France, dem Orchestre de Paris und den Göteborger Symphonikern sowie als Porträtkünstlerin zum Wiener Musikverein.
Nach ihrem langjährigen Engagement als Kapellmeisterin am Theater Heidelberg trat Mallwitz zur Spielzeit 2014/2015 als jüngste Generalmusikdirektorin Europas ihr erstes Leitungsamt am Theater Erfurt an. Dort rief sie die Orchester-Akademie des Philharmonischen Orchesters ins Leben und begründete das Composer in Residence-Programm „Erfurts Neue Noten“. Ihre ebenfalls in dieser Zeit konzipierten „Expeditionskonzerte“ wurden auch am Staatstheater Nürnberg und als Online-Format ein durchschlagender Erfolg.
In Hildesheim geboren, studierte Joana Mallwitz an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Dirigieren bei Martin Brauß und Eiji Oue sowie Klavier bei Karl-Heinz Kämmerling und Bernd Goetzke.
Joana Mallwitz ist Trägerin des Bayerischen Verfassungsordens. Im Oktober 2023 wurde sie für ihre Leistungen im Bereich der Vermittlung klassischer Musik mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie lebt mit Mann und Sohn in Berlin.
Suyoen Kim ist Erste Konzertmeisterin des Konzerthausorchesters Berlin. Sie wurde in Münster geboren und studierte in ihrer Heimatstadt bei Helge Slaatto, in München bei Ana Chumachenco sowie an der Kronberg Academy. Seit 2018 ist sie Mitglied des Konzerthausorchesters, und wurde 2019 Mitglied im Artemis Quartett. Sie ist Gewinnerin des Internationalen Violinwettbewerbs Hannover (2006) und Preisträgerin des Brüsseler Königin-Elisabeth-Wettbewerbs (2009). Als Solistin ist Suyoen Kim mit diversen renommierten Orchestern in Europa, Asien und Südamerika aufgetreten. Sie ist Mitglied im aktuellen Künstlerischen Beirat.