15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Intendant Sebastian Nordmann im Gespräch mit unserer neuen Chefdirigentin über Probenarbeit, Partituren und prägende Momente.
JM: Ich bin wirklich absolute Neuberlinerin und empfinde diese Stadt mit ihrer Kulturszene, die sich täglich gegenseitig inspiriert, als einzigartig spannendes Pflaster. Ich freue mich riesig auf Berlin und das Berliner Publikum. Denn am Ende macht man Konzerte für die Menschen vor Ort. Das Konzerthausorchester ist das Orchester für das Berliner Publikum. Deshalb glaube ich, hier bin ich genau am richtigen Ort.
JM: Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es diese Dichte an Orchestern und Spielorten. Der Durst, sich mit Musik auseinanderzusetzen, sich angesichts all der anderen zu steigern und gegenseitig zu inspirieren, ist immer da. Für mich ist das ein großer Ansporn.
JM: Es reizt mich sehr, mich nach den letzten intensiven Opern-Jahren nun mit dem Konzerthausorchester noch stärker dem sinfonischen Repertoire zu widmen. Eine Konzertwoche hat immer eine ganz einzigartige Energie, einen aufregenden Spannungsbogen: Man schwört sich in den Proben aufeinander ein und lässt die gemeinsame Energie dann im Konzert frei.
JM: Und ich bin besonders glücklich, mit dem Konzerthausorchester arbeiten zu können. Ich schätze seinen dunklen, warmen, mittelstimmig geprägten Klang sehr, den eine lebendige Tradition geformt hat. Das Orchester kombiniert sie mit einer sehr modernen, agilen, flexiblen und detaillierten Musizierweise.
Joana Mallwitz im Gespräch mit Musikern des Konzerthausorchesters
JM: Ich glaube, Probenphasen mit mir können zu Beginn richtig anstrengend sein. Wenn ich eine Idee von einem Stück habe, muss ich alle Zusammenhänge herausarbeiten, die ich sehe, damit am Ende alle Puzzleteile zusammenpassen. Aber wenn ein Orchester sich darauf einlässt, da zusammen durchzugehen und auch darauf, dass Proben intensive und fordernde Arbeit sein können, können wir im Konzert loslassen und gemeinsam genießen: Man hat einen Plan gemacht, um ihn dann wieder zu vergessen und einfach zuzulassen, was der Abend vor Publikum und das Stück mit einem machen.
JM: Man spürt es als ein Kribbeln im Rücken, das jeden Abend anders ist. Die Anwesenheit des Publikums bedeutet Energie – ein ganzer Raum voller menschlicher Energie. In dem Moment, in dem ich mich zum Orchester umwende, mich kurz fokussiere und wir gemeinsam einatmen, versuche ich, alle im Saal mit zu uns hineinzuziehen.
Wilde Markierungen in vielen Farben mache ich nicht. Ich richte sehr genau ein. Aber die Partituren sind vollgeschrieben, teilweise über Jahre. Unten und an der Seite steht überall Text, manchmal auch Hinweise an mich selber. In meine Partitur darf nicht einfach jeder reingucken, denn diese Notizen sind schon sehr persönlich. Aber egal, ob ich an einem Abend mit oder ohne Partitur dirigiere, wesentlich ist: Jedes Stück muss durch den Kopf ins Herz und in den Körper. Erst dann kann man überhaupt das erste Malvor das Orchester treten.
JM: Beim Eröffnungskonzert war mir wichtig, den Beginn der gemeinsamen Reise auch programmatisch sichtbar zu machen. Dabei fangen wir buchstäblich von vorne an, mit drei ersten Sinfonien: Mahler, Weill und Prokofjew. Diese drei Werke stehen für Stränge, die wir weiterverfolgen wollen. Ein Orchester definiert sich bei allen Möglichkeiten der Programmierung über das große Kernrepertoire. Es ist ganz wichtig, das zu pflegen, daran zu arbeiten, es immer weiter lebendig zu halten. Deshalb werden wir viel Mahler spielen, Brahms, Beethoven, Bruckner.
Dann haben wir Weills Erste, ein erstaunlicherweise immer noch sehr unbekanntes Werk, noch dazu ein schwieriges, aber wie ich finde ein sehr ehrliches. Sie ist der Anfang seines Schaffens und da dieses Schaffen in meiner Antrittssaison mit im Fokus steht, gebührt seiner ersten Sinfonie der Platz neben den berühmten Ersten seiner Kollegen.
Prokofjews erste Sinfonie ist musikantisch und kammermusikalisch – beides Dinge, die ich beim Musizieren immer suche. Sie ist eine Verbeugung vor der Vergangenheit, mit ganz großem Respekt vor der Klassik, zugleich aber ist sie edgy und voller Witz. Das erscheint mir als gute Verbindung und Vorwegnahme dessen, was das Konzerthausorchester und ich in den nächsten Jahren machen und sein sollten.
Ansonsten war mir bei der Programmierung meiner Antrittssaison eine gute Balance zwischen Stilen, Zeiten, bekannten und unbekannten Werken wichtig. Jeder Abend sollte etwas mit dem Publikum machen, eine neue Verbindung zeigen, eine neue Seite aufscheinen lassen. Ich suche immer nach diesem roten Faden, der am Ende aber gar nicht ausgesprochen werden muss.
Joana Mallwitz im Gespräch mit Mitgliedern der Orchestergremien.
JM: Meine Initialzündung war Schuberts „Unvollendete“. Ich besitze immer noch die Taschenpartitur, die ich mir als Teenager von meinen Eltern zum Geburtstag gewünscht habe. Ich dachte, wenn ich da drin lese und mir genau vorstelle, wie die Musik klingt, dann fange ich bestimmt an zu fliegen. So war das Gefühl. Ab da wusste ich: Ich muss irgendwie mein Leben so verbringen, dass ich die ganze Zeit mit dieser Musik zu tun habe. Es war ein Riesenglück, nie wieder zweifeln zu müssen. Davor habe ich bereits Geige und Klavier gespielt, jetzt wurde mir klar: Anscheinend muss ich dirigieren. Nach wie vor gibt es keine Musik, die meinem Herzen näher ist als Schuberts. Die Sinfonien, die Lieder, die Klaviermusik, alles.
JM: An Leonard Bernstein gibt es zwei Sachen, die ich sehr bewundere. Das eine ist seine total intuitiv wirkende Art, Musik zu machen, die aber ganz genau durchdacht und geplant sein muss, weil sie sonst gar nicht funktionieren würde. Was bei ihm rüberkommt, ist in Perfektion der bereits angesprochene Weg „durch den Kopf ins Herz und in den Körper“. Das andere ist seine phantastische Art, zu allen Menschen auf Augenhöhe über Musik zu sprechen und klar zu machen, dass sie eben etwas für alle ist – in seinen Young People‘s Concerts, den Lectures oder einfach in seinen Konzerten.
JM: Wenn ich das Publikum daran teilhaben lasse, was mir an einem Stück wichtig ist, warum ich etwas auf bestimmte Weise dirigiere oder an einer Stelle zweifle, entsteht eine andere, besondere Situation der Nähe zu den Zuhörenden, die ich mir sehr wünsche. Ich möchte, dass sie mit anderen Ohren im Konzertsitzen, als wenn sie eine informative Konzerteinführung gehört oder ein Programmheft gelesen haben.
Wenn ich so persönlich und direkt über ein Stück spreche und was es mit mir macht, hoffe ich natürlich, dass das Publikum auch bei einem unbekannten Werk Vertrauen entwickelt, dass dieses Werk sie ebenfalls ansprechen und bewegen könnte.
Joana Mallwitz im Gespräch
JM: Am allermeisten Spaß an meiner Arbeit macht mir, Partituren zu lesen und darin Dinge zu entdecken. Plötzlich blitzt ein Zusammenhang auf, oder ich frage mich: „Um Himmels willen, wie kann der Komponist mit diesem einen Akkord so etwas in mir auslösen?“ An solchen Entdeckungen möchte ich gerne so viele Menschen wie möglich teilhaben lassen und die Begeisterung für die großartigsten Werke der klassischen Musik mit allen teilen.
Aus diesem Wunsch heraus sind die Expeditionskonzerte entstanden. Auf unsere ersten drei Folgen in Berlin mit Strawinskys „Sacre“, Mendelssohns „Italienischer Sinfonie“ und Beethovens „Eroica“ bin ich sehr gespannt. Über die Night Sessions möchte ich noch gar nicht so viel verraten. Grundsätzlich steht dahinter der Gedanke, gemeinsam viel gute, ganz unterschiedliche Musik kennenzulernen und am Ende mit dem Gefühl zu gehen: Musik ist Musik – und es macht uns zu Menschen, dass wir Musik hören.
Fotos: Sima Dehgani