16.00 Uhr
Neujahrskonzert
Philippe Jaroussky Countertenor
Jérôme Ducros Klavier
Joseph Haydn (1732 – 1809)
„Das Leben ist ein Traum" Hob XXVI:21 (Text: Johann Wilhelm Ludwig Gleim)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
„Abendempfindung" KV 523 (Text: Joachim Heinrich Campe)
„An Chloè" KV 524 (Text: Johann Georg Jacobi)
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
„Sehnsucht“ op. 83 Nr. 2 (Text: Johann Wolfgang Goethe)
„Adelaide“ op. 46 (Text: Friedrich von Matthisson)
Franz Schubert (1797 – 1828)
Klavierstück Es-Dur D 946 Nr. 2
„Im Frühling" D 882 (Text: Ernst Schulze)
„Die Götter Griechenlands" D 677 (Text: Friedrich Schiller)
„An Sylvia" D 891 (Text: William Shakespeare/Eduard von Bauernfeld)
„Litanei auf das Fest Aller Seelen" D 343 (Text: Johann Georg Jacobi)
„Herbst" D 945 (Text: Ludwig Rellstab)
„Nachtstück" D 672 (Text: Johann Mayrhofer)
Pause
Gabriel Fauré (1845 – 1924)
„Mélodies de Venise" op. 58 (Text: Paul Verlaine)
„Mandoline"
„En sourdine"
„Green"
„À Clymène"
„C'est l'extase"
Cécile Chaminade (1857 – 1944)
Étude de concert op. 35 Nr. 2 ("Automne")
Reynaldo Hahn (1874 – 1947)
„À Chloris“ (Text: Théopile de Viau)
„Trois jours de vendange“ (Text: Alphonse Daudet)
„Offrande" (Text: Paul Verlaine)
„Fêtes galantes" (Text: Paul Verlaine)
„D'un prison" (Text: Paul Verlaine)
„Ich fragte mich, ob nicht die Musik, ebenso wie gewisse Wesen die letzten Zeugen einer Lebensform sind, die die Natur aufgegeben hat, das einzige Beispiel dessen ist, was – hätte es keine Erfindung der Sprache, Bildung von Wörtern, Analyse der Ideen gegeben – die Verständigung der Seelen hätte sein können…“
Marcel Proust brachte dies in seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ zu Papier. Ist es aber vielleicht nicht so dass, wenn in Liedern – oder in Mélodies, wie die kleinen Kompositionen im Französischen genannt werden – Musik und Text verschmelzen, der Zugewinn für beide Seiten ein nahezu unendlicher ist?
Kompositionen für die menschliche Stimme ziehen sich wie ein roter Faden durch die Musikgeschichte, wobei es hochinteressant ist, wie unterschiedlich die Komponisten den Prozess der „Liedwerdung" beschrieben haben, wie die jeweiligen Gedichte beschaffen sein mussten, damit der Funke der Inspiration übersprang. Oftmals waren die Tonsetzer mit den Dichtern der Zeit im Kontakt, die Freundeskreise überschnitten sich.
Mit einer Vertonung von Johann Wilhelm Ludwig Gleim macht Haydn den Anfang. Er überlegt „Was ist das Leben? Das Leben ist ein Traum!“ und geht diese tiefsinnige Betrachtung über die Nichtigkeit des Daseins sehr eindringlich und nachdenklich an. Das Kleinod entstammt einer Sammlung von 24 Liedern mit Klavierbegleitung, die er zwischen 1781 und ‘84 komponierte. Seit 1761 war Joseph Haydn Kapellmeister am Fürstenhof Esterházy in Eisenstadt und erfüllte hier seine vielfältigen Pflichten, zu denen selbstverständlich auch das Komponieren zählte. Dabei stand das Lied niemals im Zentrum seines Interesses. Obwohl etwa 50 Sologesänge mit Klavierbegleitung überliefert sind und er eine große Zahl von schottischen Volksliedern bearbeitet hat, ist dieser Teil seines Werks gegenüber den wichtigen formbildenden Anstößen für Sonate, Streichquartett und Sinfonie sehr in den Hintergrund geraten – und wenigstens teilweise zu Unrecht.
Tatsächlich war Haydn literarisch nicht sehr interessiert und gebildet. Es ging ihm in erster Linie darum, verschiedenste Stimmungen und Inhalte zu vertonen. Die Texte ließ er sich oft von seinem Verleger oder von Freunden heraussuchen. Über den konkreten Text hinaus waren ihm die Dichter egal, oftmals erwähnte er nur ihre Initialen. Ein Lied war für ihn ein Strophenlied – und er schreckte auch nicht davor zurück, die Texte zu seinen Zwecken zu verändern. Einmal beklagte er sich, dass „unsere deutschen Dichter nicht musikalisch genug dichten“.
Der 25jährige Mozart lebte ab 1781 in der Donaumetropole Wien und blieb der Stadt bis zu seinem Lebensende, von einzelnen Reisen abgesehen, treu. Im folgenden Jahr heiratete er Konstanze Weber, deren Schwester Aloisia vermutlich die erste Sängerin gewesen war, die sein Herz zum Höherschlagen brachte. Er hatte sie 1777 in Mannheim kennengelernt, sie unterrichtet und bei Konzerten begleitet – seinen Heiratsantrag lehnte sie aber ab.
Die meisten seiner etwa 30 überlieferten Lieder entstanden in der Wiener Zeit, so auch „Abendstimmung" und „An Chloè" – das Köchelverzeichnis nennt für beide den 24. Juni 1787. Auch für ihn war das typische Lied ein Strophenlied, und der Stellenwert, den er den Liedern zumaß, verbindet ihn ebenso mit Haydn. Seine Lieder waren Gelegenheitswerke, oft Gefälligkeiten für Freunde und Bekannte oder Auftragsstücke.
„Abendstimmung“ und „Chloè“ könnten kaum unterschiedlicher sein: Das eine besingt in tiefer Melancholie das Ende einer Liebe und den unausweichlichen Tod, das andere ist ein zupackendes Liebeslied. Mozart hat von den eigentlich 13 Strophen um die antike Schäferin nur vier zu einer schwungvollen kleinen Liebesszene vertont: Die Musik jubelt und zittert vor Erregung – alles mündet in den Tod, was hier fraglos den „petit mort" im Liebesakt meint. Was folgt, sind Ermattung und Seligkeit.
Frauen zwischen Blumen – Gemälde von Claude Monet, 1875
Der in Bonn geborene Beethoven verließ als 22-Jähriger seine Heimatstadt für einen zweiten Studienaufenthalt in Wien – es wurde ein endgültiger Umzug. Als junger Mann hatte er die für sein Komponistenleben entscheidende Begegnung mit Joseph Haydn, die wohl den Ausschlag für die Übersiedlung nach Wien gab. 1787, bei der ersten Wienreise mit dem Ziel, Schüler von Mozart zu werden, war Haydn gerade in England; 1792 aber machte dieser auf dem Rückweg aus London in Bonn Station und bestärkte den jungen Klaviervirtuosen und angehenden Komponisten darin, in die Donaumetropole umzusiedeln: Hier galt es, „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ zu empfangen, wie der adlige Gönner Graf Waldstein Beethoven ins Stammbuch schrieb.
Von Beethovens ungefähr 90 Liedern ist keines so populär wie „Adelaide", für den Musikkritiker Eduard Hanslick „das einzige Lied von Beethoven, dessen Verlust eine Lücke in dem Gemütsleben unserer Nation hinterlassen würde". 1795/96 entstanden, war „Adelaide" – trotz vier rhythmisch identischer Strophen bricht der Komponist hier die Form des reinen Strophenliedes auf – sofort ein Riesenerfolg. Erst mit Verspätung bedankte er sich 1800 beim Textdichter und Widmungsträger Friedrich Matthisson: „Die Dedikation betrachten Sie theils als ein Zeichen des Vergnügens, welches mir die Komposition Ihrer A. gewährte, theils als ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Hochachtung für das Seelige Vergnügen, was mir ihre Poesie überhaupt immer machte und noch machen wird.“ Matthisson seinerseits gab das Lob zurück: „Mehrere Tonkünstler beseelten diese kleine lyrische Phantasie durch Musik, keiner aber stellte, nach meiner innigsten Ueberzeugung, gegen die Melodie den Text in tiefere Schatten, als der geniale Ludwig von Beethoven zu Wien.“
Die Goethe-Vertonung „Sehnsucht" entstand 1808 im Auftrag der Literaturzeitschrift „Prometheus", vier Fassungen sind überliefert.
Beethovens Lieder sind intime Bekenntnisse eines Komponisten, dessen Herzblut und umstürzlerische Kraft in andere Gattungen flossen, besonders die Sinfonik. Schubert dagegen als Liedkomponisten vorzustellen, ist beinahe unnötig. Seine neue Liedästhetik, die die gleichberechtigte Zusammenführung von Stimme und Begleitung postuliert, hatte eine bis dahin unerhörte neue Qualität hervorgebracht. Etwa 600 Sololieder sind überliefert. Zu Lebzeiten war der Komponist nur einem verhältnismäßig kleinen Freundes- und Bekanntenkreis ein Begriff, die meisten seiner Lieder und Singspiele erlebten bei den sogenannten „Schubertiaden“ ihre Premiere. Erst Anfang der 1820er Jahre wurden Schubert-Lieder erstmals auch öffentlich gesungen, stießen aber oft auf Verwunderung und Unverständnis – nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Sängern. Schubert lebte in engem Kontakt mit Dichtern seiner Zeit, viele zählten zum Freundeskreis. Literarisch sensibel, ließ er sich von Stimmungen und Situationen in den Versen inspirieren und entflammen, wobei er nicht dagegen gefeit war, auch Worte zu vertonen, die ohne ihn heute längst vergessen wären. Trotzdem griff er fast immer zu qualitativ hochstehender Dichtkunst und ließ sich von ihr beflügeln, das beweisen nicht nur die Goethe-Vertonungen. Die sechs Lieder dieses Konzertes – eingeleitet von dem mittleren der drei Klavierstücke D 946 – entstanden zwischen 1819 und dem Todesjahr 1828.
„Für mich existiert Kunst, und vor allem Musik, um uns soweit wie möglich über die Alltagsexistenz zu erheben“, so die eindeutige Ansicht Faurés. Ähnlich wie Schubert aus einer einfachen Lehrerfamilie stammend, brachte sein Vater den knapp Zehnjährigen nach Paris an die neugegründete École de Musique religieuse et classique, wo der Knabe eine umfassende musikalische und Allgemeinbildung bekam. Und hier lernte er Camille Saint-Saëns kennen, der den jungen Kollegen protegierte. So standen Fauré die Türen der Pariser Salons schnell offen. Er war der erste Komponist, der zu den berühmten Abenden bei der Prinzessin de Polignac, der großen Förderin des Modernismus in der Kunst, gebeten wurde: Offenbar waren seine Art und Ausstrahlung wie gemacht für diese intimen Treffen. Zwischen 1905 und 1920 war Fauré Direktor des Conservatoire. Erstaunlicherweise galt er, der sich auf den gregorianischen Gesang, die Kirchentonarten und die Polyphonie des 16. Jahrhunderts stützte und bezog, allgemein als Avantgardist. Obwohl er keinesfalls ein Revolutionär war, „keinen neuen Akkord erfand“ (Debussy), kam er doch auf eine neue und gewagte Harmonik. Auch wenn er niemals „modisch“ war, machte er – obwohl prädestiniert zum „Salonlöwen“ – keinerlei musikalische Konzessionen, wenn er in den angesagten Häusern spielte. Seine Melodien haben die Atmosphäre des Salons verinnerlicht, sind bei allen Neuerungen elegant und niemals schroff.
In den 1880er Jahren starben kurz hintereinander Faurés Eltern, seine Stimmung war trostlos. Durch eine Einladung der Prinzessin den Polignac wurde er aus seinen Depressionen gerissen. Sie lud ihn 1891 auf eine Reise nach Venedig und Florenz ein. Beflügelt schrieb er unterwegs die „Fünf Melodien aus Venedig" op. 58 auf Texte von Paul Verlaine. Glaubt man der Legende, wurden sie abends bei ausgedehnten Gondelfahrten auf der Lagune gesungen. Hingerissen soll die Prinzessin – ihr ist der Zyklus auch gewidmet – festgestellt haben: „Niemand verehrt Verlaine mehr und versteht ihn besser als Gabriel Fauré". Wie auch in seinem zweiten Liedzyklus „La bonne chanson" (ebenfalls nach Verlaine) werden die musikalischen Themen gewissermaßen von Lied zu Lied weitergegeben.
Pappeln – Gemälde von Claude Monet, 1891
In eine sehr begüterte Pariser Familie hineingeboren, zeigte sich das musikalische Talent Cécile Chaminades früh; ersten Unterricht im Klavierspiel bekam sie von ihrer Mutter, einer Pianistin. Trotzdem blieb ihr der Weg ans berühmte Conservatoire verstellt – ihr Vater, Leiter einer Versicherungsanstalt, war strikt dagegen. Als Achtjährige spielte sie George Bizet vor, dessen Landhaus in der Nachbarschaft lag. Und der war so beeindruckt von den Arbeiten, dass er ihr Fürsprecher wurde und den Vater dazu brachte, Cécile mit Privatunterricht zu fördern. Bald brillierte die junge Frau nicht nur als Pianistin in ganz Europa und den USA, sondern auch als Komponistin vor allem von Liedern und Charakterstücken für ihr Instrument. Etwa 100 Lieder und 200 Klavierstücke, aber auch eine Oper und ein Ballett sind überliefert – eingängige Salonmusik jenseits der Trivialität. Die zweite der insgesamt sechs Étude de concert op. 35, „Herbst", entstand um 1886. Die Melodien flossen ihr zu, gerade wenn sie Gedichte las oder in der Natur war, hat Chaminade einmal berichtet.
Morgen an der Seine – Gemälde von Claude Monet, 1898
In Caracas als Sohn einer Venezuelanerin und eines Hamburger Kaufmannes geboren, kam Reynaldo Hahn als Vierjähriger nach Paris. Er wuchs mit fünf Schwestern und vier Brüdern in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Auch seine Musikalität wurde von klein auf unterstützt, wobei nichts gegen ein Studium am Conservatoire sprach; sein Lehrer war Jules Massenet. Der junge Künstler bekam mühelos Zugang zu den intellektuellen Häusern der Stadt, wurde gern eingeladen und trug seine Lieder mit einer klangvollen Stimme selbst vor, wobei er sich am Klavier begleitete. So lernte er Dichter wie Alphonse Daudet, Paul Verlaine, Stephane Mallarmé und auch Marcel Proust kennen, mit dem ihn eine intensive Liebesbeziehung – und nach deren Scheitern enge lebenslange Freundschaft – verband.
Hahns Melodien entfalten Zauber und Verführungskraft und sind damit typische Beispiele der Belle Époque, die bei aller Gefälligkeit viel handwerkliches Geschick und Leuchtkraft beweisen. Die fünf Lieder des Konzertes geben einen guten Eindruck und entstanden fast alle in den 1890ern. Einzige Ausnahme ist das Liebeslied "A Chloris" von 1916, in dem Hahn einen Text von Théophile de Viau aus dem frühen 17. Jahrhundert vertonte – möglicherweise durch dessen Schicksal als vermeintlicher Homosexueller auf ihn aufmerksam geworden.
Für Proust gelang es Hahn mit seiner Musik, „alle Herzen zu umarmen und alle Augen zu benetzen…"
Trauerweiden – Gemälde von Claude Monet, 1918
Das Leben ist ein Traum
Das Leben ist ein Traum!
Wir schlüpfen in die Welt und schweben
Mit jungem Zahn
Und frischem Gaum‘
Auf ihrem Wahn
Und ihrem Schaum,
Bis wir nicht mehr an Erde kleben:
Und dann, was ist’s, was ist das Leben?
Das Leben ist ein Traum!
Das Leben ist ein Traum:
Wir lieben, uns’re Herzen schlagen,
Und Herz an Herz
Gefüget kaum,
Ist Lieb’ und Scherz
Ein leerer Schaum,
Ist hingeschwunden, weggetragen!
Was ist das Leben? hör ich fragen:
Das Leben ist ein Traum.
Abendempfindung
Abend ist’s, die Sonne ist verschwunden,
Und der Mond strahlt Silberglanz;
So entflieh’n des Lebens schönste Stunden,
Flieh’n vorüber wie im Tanz!
Bald entflieht des Lebens bunte Szene,
Und der Vorhang rollt herab.
Aus ist unser Spiel! Des Freundes Träne
Fließet schon auf unser Grab.
Bald vielleicht mir weht, wie Westwind leise,
Eine stille Ahnung zu –
Schließ’ ich dieses Lebens Pilgerreise,
Fliege in das Land der Ruh’.
Werdet ihr dann an meinem Grabe weinen,
Trauernd meine Asche seh’n,
Dann, o Freunde, will ich euch erscheinen
Und will Himmel auf euch weh’n.
Schenk’ auch du ein Tränchen mir
Und pflücke mir ein Veilchen auf mein Grab;
Und mit deinem seelenvollen Blicke
Sieh’ dann sanft auf mich herab.
Weih mir eine Träne, und ach!
Schäme dich nur nicht, sie mir zu weih’n,
Oh, sie wird in meinem Diademe
Dann die schönste Perle sein.
An Chloé
Wenn die Lieb’ aus deinen blauen,
Hellen, offnen Augen sieht,
Und vor Lust, hineinzuschauen,
Mir’s im Herzen klopft und glüht;
Und ich halte dich und küsse
Deine Rosenwangen warm,
Liebes Mädchen, und ich schließe
Zitternd dich in meinen Arm,
Mädchen, Mädchen, und ich drücke
Dich an meinen Busen fest,
Der im letzten Augenblicke
Sterbend nur dich von sich lässt;
Den berauschten Blick umschattet
Eine düst’re Wolke mir;
Und ich sitze dann ermattet,
Aber selig neben dir.
Sehnsucht
Was zieht mir das Herz so?
Was zieht mich hinaus?
Und windet und schraubt mich
Aus Zimmer und Haus?
Wie dort sich die Wolken
Um Felsen verziehn!
Da möcht' ich hinüber,
Da möcht' ich wohl hin!
Nun wiegt sich der Raben
Geselliger Flug;
Ich mische mich drunter
Und folge dem Zug.
Und Berg und Gemäuer
Umfittigen wir;
Sie weilet da drunten;
Ich spähe nach ihr.
Da kommt sie und wandelt;
Ich eile sobald,
Ein singender Vogel,
Zum buschigen Wald.
Sie weilet und horchet
Und lächelt mit sich:
"Er singet so lieblich
Und singt es an mich."
Die scheidende Sonne
Vergüldet die Höhn;
Die sinnende Schöne,
Sie lässt es geschehn.
Sie wandelt am Bache
Die Wiesen entlang,
Und finster und finstrer
Umschlingt sich der Gang;
Auf einmal erschein' ich,
Ein blinkender Stern.
"Was glänzet da droben,
So nah und so fern?"
Und hast du mit Staunen
Das Leuchten erblickt;
Ich lieg dir zu Füßen,
Da bin ich beglückt!
Adelaide
Einsam wandelt dein Freund im Frühlingsgarten,
Mild vom lieblichen Zauberlicht umflossen,
Das durch wankende Blütenzweige zittert,
Adelaide!
In der spiegelnden Flut, im Schnee der Alpen,
In des sinkenden Tages Goldgewölke,
Im Gefilde der Sterne strahlt dein Bildnis,
Adelaide!
Abendlüftchen im zarten Laube flüstern,
Silberglöckchen des Mais im Grase säuseln,
Wellen rauschen und Nachtigallen flöten,
Adelaide!
Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe,
Eine Blume der Asche meines Herzens.
Deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:
Adelaide!
Im Frühling
Still sitz ich an des Hügels Hang,
Der Himmel ist so klar,
Das Lüftchen spielt im grünen Tal,
Wo ich beim ersten Frühlingsstrahl
Einst, ach, so glücklich war.
Wo ich an ihrer Seite ging
So traulich und so nah,
Und tief im dunkeln Felsenquell
Den schönen Himmel blau und hell,
Und sie im Himmel sah.
Sieh, wie der bunte Frühling schon
Aus Knosp’ und Blüte blickt!
Nicht alle Blüten sind mir gleich,
Am liebsten pflückt’ ich von dem Zweig,
Von welchem sie gepflückt.
Denn alles ist wie damals noch,
Die Blumen, das Gefild;
Die Sonne scheint nicht minder hell,
Nicht minder freundlich schwimmt im Quell
Das blaue Himmelsbild.
Es wandeln nur sich Will und Wahn,
Es wechseln Lust und Streit,
Vorüber flieht der Liebe Glück,
Und nur die Liebe bleibt zurück,
Die Lieb’ und ach, das Leid!
O wär ich doch ein Vöglein nur
Dort an dem Wiesenhang!
Dann blieb’ ich auf den Zweigen hier,
Und säng ein süßes Lied von ihr,
Den ganzen Sommer lang.
Die Götter Griechenlands
Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenswarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.
An Sylvia
Was ist Sylvia, saget an,
Dass sie die weite Flur preist?
Schön und zart seh’ ich sie nah’n,
Auf Himmels Gunst und Spur weist,
Dass ihr alles untertan.
Ist sie schön und gut dazu?
Reiz labt wie milde Kindheit;
Ihrem Aug’ eilt Amor zu,
Dort heilt er seine Blindheit,
Und verweilt in süßer Ruh’.
Darum Sylvia, tön’, o Sang,
Der holden Silvia Ehren;
Jeden Reiz besiegt sie lang,
Den Erde kann gewähren:
Kränze ihr und Saitenklang!
Litanei auf das Fest Aller Seelen
Ruhn in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, geboren kaum,
Aus der Welt hinüber schieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Die sich hier Gespielen suchten,
Öfter weinten, nimmer fluchten,
Wenn vor ihrer treuen Hand
Keiner je den Druck verstand;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Liebevoller Mädchen Seelen,
Deren Tränen nicht zu zählen,
Die ein falscher Freund verließ,
Und die blinde Welt verstieß;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und der Jüngling, dem verborgen,
Seine Braut am frühen Morgen,
Weil ihn Lieb’ ins Grab gelegt,
Auf sein Grab die Kerze trägt;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Alle Geister die, voll Klarheit,
Wurden Märtyrer der Wahrheit,
Kämpften für das Heiligtum,
Suchten nicht der Marter Ruhm;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und die nie der Sonne lachten,
Unterm Mond auf Dornen wachten,
Gott, im reinen Himmelslicht,
Einst zu sehn von Angesicht:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und die gern im Rosengarten
Bei dem Freudenbecher harrten;
Aber dann, zur bösen Zeit,
Schmeckten seine Bitterkeit;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Auch, die keinen Frieden kannten,
Aber Mut und Stärke sandten
Über leichenvolles Feld
In die halb entschlafne Welt;
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Ruhn in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, geboren kaum,
Aus der Welt hinüber schieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Herbst
Es rauschen die Winde
So herbstlich und kalt;
Verödet die Fluren,
Entblättert der Wald.
Ihr blumigen Auen!
Du sonniges Grün!
So welken die Blüten
Des Lebens dahin.
Es ziehen die Wolken
So finster und grau;
Verschwunden die Sterne
Am himmlischen Blau!
Ach, wie die Gestirne
Am Himmel entflieh’n,
So sinket die Hoffnung
Des Lebens dahin!
Ihr Tage des Lenzes
Mit Rosen geschmückt,
Wo ich die Geliebte
An’s Herze gedrückt!
Kalt über den Hügel
Rauscht, Winde, dahin!
So sterben die Rosen
Der Liebe dahin!
Nachtstück
Wenn über Berge sich der Nebel breitet
Und Luna mit Gewölken kämpft,
So nimmt der Alte seine Harfe, und schreitet
Und singt waldeinwärts und gedämpft:
„Du heilge Nacht:
Bald ist’s vollbracht,
Bald schlaf ich ihn, den langen Schlummer,
Der mich erlöst von allem Kummer.“
Die grünen Bäume rauschen dann:
„Schlaf süß, du guter, alter Mann“;
Die Gräser lispeln wankend fort:
„Wir decken seinen Ruheort“;
Und mancher liebe Vogel ruft:
„O lass ihn ruhn in Rasengruft!“
Der Alte horcht, der Alte schweigt,
Der Tod hat sich zu ihm geneigt.
Mandoline
Herren, die Serenaden spielen,
Und Damen, die ihnen lauschen,
Tauschen vorsichtig Worte
Unter grünen Zweigen.
Thyrsis und Amyntas sind da
Und auch Clytander,
Auch Damis, die als herzlos galt,
Obwohl sie zärtlich dichtete.
Ihre kurzen Seidenmäntel,
Ihre langen Kleider,
All ihre Eleganz und Freude,
Ihre sanften Schatten
Tanzen in der Verzückung
Des rosa und grauen Mondes.
Und die Mandoline flüstert
Im Windhauch.
En sourdine
In der Ruhe des Halbschattens
Unter den hohen Zweigen
Wollen wir unsere Liebe
Im großen Schweigen genießen.
Unsere Seelen, unsere Herzen,
Unsere Sinne werden eins
Mit dem trägen Dunst
Der Pinien und Erdbeerbüsche.
Schließ deine Augen halb,
Die Arme kreuz über der Brust
Und lass dein schlafendes Herz
Aller Pläne entsagen.
Hingeben wollen wir uns
Dem Wind, der das rote Gras
In sanften Wellen bewegt,
Die unsere Füße streicheln.
Und wenn dann ernst der Abend
Aus schwarzen Eichen fällt,
Wird unser verzweifeltes Klagen
Im Singen der Nachtigall klingen.
Green
Nimm Früchte, Blumen, Blätter, Zweige
Und auch mein Herz, das für dich schlägt.
Zerreiß es nicht mit deinen weißen Händen,
Mag das Geschenkte deine Augen freu‘n.
Ich komme ganz bedeckt von Tau,
Gefrorne Morgenkühle auf der Stirn.
Die Müdigkeit, so ich zu deinen Füßen ruhe,
Weicht einem frischen Traum vom Glück.
Erlaube meinem Kopf, an deine Brust zu sinken
Und deinen letzten Küssen nachzusinnen.
Dem Stürmen heißer Liebe folgt der Frieden,
In dem ich schlaf bei deiner Rast
À Clymène
Verzauberte Barkarolen
Und Lieder ohne Worte klingen,
Weil deine Augen, Liebes,
Die Farbe des Himmels haben.
Weil deine Stimme, sonderbar,
Mir wilde Bilder malt,
Dann aber ebenso
Das Herz beruhigt.
Weil mich betört die Zartheit
Deiner schwanengleichen Blässe,
Und weil dein Duft
So unvergleichlich ist.
Weil du, dein ganzes Wesen,
Das Sein mit himmlischer Musik
Und mit der Aura eines Engels
Beschenkst und tränkst und segnest.
Mit wundersamen Harmonien
Hast Du mein Herz
Ganz in Besitz genommen.
Ich preise dich dafür.
C'est l'extase
Die träge Verzückung,
Die Müdigkeit nach der Liebe,
Das Zittern des Waldes,
Die Umarmung der Luft.
Ein leiser Chor weht
Durch die grauen Zweige.
Das frische Murmeln,
Zwitschern und Flüstern,
Das leise Rufen
Des bewegten Grases,
Dumpfes Rollen der Kiesel
Im strömenden Bach.
Diese weinende Seele,
Diese stille Klage –
Ist dies die unsere,
Die meine und deine?
Welch leise Hymne
Atmet dieser laue Abend?
À Chloris
Wenn es stimmt, Chloris, dass du mich liebst
– Und man sagt, du liebst mich sehr –,
Dann ist keines Königs Glück
Größer als meines.
Selbst den Tod würde ich nicht achten,
Wollte er mir mein Glück
In ewige Seligkeit tauschen.
Und alles, was man an Ambrosia preist,
Reizt mich gewiss nicht mehr
Als die Gunst deiner Augen.
Trois jours de vendange
Ich traf sie eines Tages bei der Weinlese:
Hochgesteckter Rock und zierliche Füße,
Kein gelber Schleier, kein gedrehtes Haar,
Eine Bacchantin mit Engelsaugen,
Gestützt auf den Arm eines Freundes.
Ich traf sie auf den Feldern von Avignon,
An einem Erntetag.
Ich traf sie eines Tages bei der Weinlese:
Düsteres Land unter brennendem Himmel.
Sie ging allein unsicheren Schritts,
Mit einem seltsamen Glanz im Gesicht.
Es durchschaudert mich das Erinnern,
Wie ich das weiße Gespenst erblickte,
An einem Erntetag.
Ich traf sie eines Tages bei der Weinlese,
Und noch immer träum‘ ich davon:
Der Sarg in Samt gehüllt,
Das schwarze Laken mit den Fransen,
Die weinenden Nonnen von Avignon.
Zu viele Trauben trug der Weinstock,
Die Liebe hatte die Ernte eingebracht.
Offrande
Text siehe zuvor unter „Green“
Fêtes galantes
Text siehe zuvor unter „Mandoline“
D'un prison
Der Himmel über dem Dach
Ist blau und ruhig.
Der Baum über dem Haus
Winkt mit dem Ast.
Die Glocke, die man am Himmel sieht,
Läutet leise.
Der Vogel, den man im Baum sieht,
Singt klagend.
Mein Gott – dies ist das Leben,
Einfach und ruhig.
Ein friedlicher, ferner Klang
Kommt aus der Stadt.
Was hast du getan, du da,
Weinend ohne Unterlass?
Was hast Du gemacht, du da,
Mit deiner Jugend?
ist einer der großen Sänger unserer Zeit und vielfach international ausgezeichnet (unter anderem mehrfach als „Sänger des Jahres“/Victoire de la Musique und ebenfalls mehrfach mit dem ECHO Klassik). Mit beeindruckender Stimmbeherrschung hat er sich ein vielfältiges Repertoire von Monteverdi über Händel und Vivaldi bis zur Gegenwart erschlossen und auch Raritäten beispielsweise von Caldara, Johann Christian Bach, Porpora, Telemann oder Steffani wieder ans Licht gebracht. 2002 gründete er das Barockensemble Artaserse, mit dem er seither weltweit auftritt. Mit Leidenschaft erforscht er das Feld der französischen Mélodies, begleitet vom Pianisten Jérôme Ducros. Ebenso begeistert er mit Berlioz' „Les Nuits d'Été“, mit einem Liederzyklus und in der Oper „Melancholie des Widerstands“ des zeitgenössischen Komponisten Marc-André Dalbavie oder in der eigens für ihn komponierten Oper „Only the Sound remains“ von Kaija Saariaho. Im März 2021 debütierte Jaroussky als Dirigent bei seinem Ensemble Artaserse in einer Produktion von Scarlattis Oratorium „Il Primo Omicidio“; 2022 überzeugt er in dieser neuen Tätigkeit mit zahlreichen Konzerten unter anderem in Paris, Lyon, Montpellier und Budapest sowie bei der Bühnenproduktion von Händels „Giulio Cesare“ im Théâtre des Champs-Élysées und der Opéra de Montpellier. In der Saison 2022/23 leitete er weitere Opernaufführungen.
In der aktuellen Saison zeigt Philippe Jaroussky seine Vielfalt bei zwei umfangreichen Tourneen (mit dem Ensemble L'Arpeggiata beziehungsweise mit Jérôme Ducros), beim Dirigat von Mozarts „Mitridate, Re di Ponto“ in Montpellier, als Solist bei einem Vivaldi-Pasticcio mit Cecilia Bartoli bei den Salzburger Festspielen und schließlich bei einem Galakonzert mit dem Ensemble Artaserse zur Feier seines 25-jährigen Bühnenjubiläums. In seiner beeindruckenden Diskografie hervorzuheben ist etwa die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Matheus bei der Vivaldi-Edition für das Label Naïve; seit vielen Jahren ist er Exklusiv-Künstler bei Erato-Warner Classics. Mit der Akademie Philippe Jaroussky unterstützt er junge Musiker. 2019 wurde er von der französischen Regierung zum Officier des Arts et des Lettres ernannt.
Philippe Jaroussky studierte zunächst Violine, Klavier und Komposition an den Musikakademien von Versailles und Boulogne. Sein Gesangsstudium begann er 1996 bei Nicole Fallien, daran schlossen sich Studien in Alter Musik bei Michel Laplenie und Kenneth Weiss an der Pariser Ecole de Musique National-Régional an. Am Konzerthaus Berlin war er in der Saison 2015/16 Artist in Residence. Die aktuelle Diskografie und Tourdaten finden Sie unter www.philippejaroussky.fr
ist Pianist, Komponist und Arrangeur. Als gefragter Kammermusiker arbeitet er regelmäßig mit Künstlern wie Gautier Capuçon, Philippe Jaroussky und Jérôme Pernoo zusammen. Zu seinen weiteren künstlerischen Partnerinnen und Partnern zählen unter anderem Augustin Dumay, Michel Portal, Michel Dalberto, Nicholas Angelich, Frank Braley, Antoine Tamestit, Paul Meyer, Gérard Caussé, Adrien La Marca, Tabea Zimmermann, Jean-Guihen Queyras, Henri Demarquette, das Quatuor Ébène, Dawn Upshaw, Diana Damrau, Angelika Kirchschlager, Ian Bostridge, Bernarda Fink, Fatma Saïd, Laurent Naouri und Nora Gubisch. Konzerte führen ihn rund um die Welt. Insbesondere seit der Veröffentlichung seines Trios für zwei Celli und Klavier im Jahr 2006 ist er als Komponist bekannt geworden; seine Arrangements für Klavier, kammermusikalische Besetzungen und Orchester werden häufig von renommierten Künstlern und Ensembes aufgeführt. Sein erstes Album mit Orchesterarrangements, "Émotions" mit Gautier Capuçon (Erato-Warner Classics), erhielt 2021 eine Goldene Schallplatte.
Die Diskografie von Jérôme Ducros umfasst mehr als zwanzig Alben und nennt unter anderem CDs mit Renaud und Gautier Capuçon oder Jérôme Pernoo, eigene Werke sowie mehrere Produktionen mit Philippe Jaroussky. Sein neuestes Projekt, "Destination Paris," mit Gautier Capuçon, dem Orchestre de Chambre de Paris und Lionel Bringuier (Erato) erschien im November 2023.
Jérôme Ducros wurde 1974 geboren, studierte Klavier in Paris und besuchte Meisterkurse bei Léon Fleisher, György Sebök, Davitt Moroney und Christian Zacharias. Er ist Preisträger mehrerer internationaler Klavierwettbewerbe.