13.00 Uhr
Führung durch das Konzerthaus Berlin
Christoph Eschenbach zum 85. Geburtstag
Konzerthausorchester Berlin
Christoph Eschenbach Dirigent
Programm
Anton Bruckner (1824 – 1896)
Sinfonie Nr. 6 A-Dur
Maestoso
Adagio. Sehr feierlich
Scherzo. Nicht schnell – Trio. Langsam
Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell
Konzert ohne Pause
In den 1980er Jahren, als ich als Jugendlicher in Schleswig-Holstein meine ersten Konzerte besuchte, erlebte ich Christoph Eschenbach als Solisten am Klavier oder am Pult als Dirigenten. Schon damals öffnete er mir durch seine unvergleichliche Art viele Werke – Erlebnisse, die bis heute nachklingen.
Im Laufe der Jahrzehnte durfte ich Christoph Eschenbach immer wieder erleben, sei es als Chefdirigent in Hamburg, Paris oder Washington. Als ich ihn 2017 fragte, ob er sich vorstellen könnte, Chefdirigent unseres Orchesters zu werden, legte er lachend den Kopf in den Nacken und sah mich mit funkelnden Augen an: „Das ist ja eine tolle Geschichte, dass wir beide nach so vielen Jahren zusammenarbeiten werden!“ Zwei Jahre später, 2019, trat er diese Rolle an und prägte das Konzerthausorchester tiefgehend.
Zu den besonderen Höhepunkten seiner Zeit bei uns am Konzerthaus zählt zweifellos die denkwürdige „Freischütz“-Aufführung anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Konzerthaus Berlin in Zusammenarbeit mit La Fura dels Baus. Doch ebenso beeindruckend war sein Engagement während der Pandemie: Er hielt stets den Kontakt zu seinem Orchester und probte mit den Musikerinnen und Musikern, obwohl die Säle leer bleiben mussten. Für diese Nähe und unermüdlichen Einsatz bin ich ihm bis heute dankbar.
Christoph Eschenbach ist weit mehr als ein herausragender Musiker: Er ist ein Humanist, ein Weltbürger, ein Künstler mit einem tiefen Verständnis für die verbindende Kraft der Musik. Daher erfüllt es mich nicht nur als Intendant, sondern auch ganz persönlich mit großer Freude, seinen 85. Geburtstag mit einem Festkonzert im Konzerthaus Berlin feiern zu dürfen.
Sebastian Nordmann
Intendant
die Sechste, die Keckste
Anton Bruckner galt und gilt vielen als ein weltfremder Sonderling, als ein Narr in Christo, der unbewusst religiös-mystisch inspirierte Musik schuf – „halb Genie, halb Trottel“, meinte der große Dirigent Hans von Bülow. Das ist eine grobe Verkennung. Bruckner wusste genau, was er wollte, im Leben wie in seiner Kunst, und er setzte das zielstrebig durch (mit Ausnahme seiner Heiratspläne, was zu dem erwähnten Urteil beitrug). Der Anschein des Unbeholfenen gehörte zu seiner Selbstdarstellung. Er war ein gläubiger Katholik, aber das beeinflusste seine künstlerische Orientierung nicht – so bewunderte er Richard Wagners Musikdramen, darunter auch den moralisch skandalösen „Tristan“ aufs Höchste. Dass er es lange schwer hatte, persönlich und künstlerisch akzeptiert zu werden, steht auf einem anderen Blatt.
Seine sechste Sinfonie hat er als seine „keckste“ bezeichnet, das ist ein Reflex ihrer Entstehungsumstände, denn sie entstand, als er im Begriff war, sich durchzusetzen.
Bruckner wollte finanziell unabhängig sein und gleichzeitig sehr viel Zeit zum Komponieren haben. 1868 hatte er seine Lebensstellung als Domorganist in Linz gekündigt, weil er sich in der Hauptstadt, in Wien, als Komponist etablieren wollte. Geld verdiente er nicht mit seinen Sinfonien, sondern mit Unterricht – zuerst als Orgel- und Generalbassprofessor am Konservatorium. Außerdem las er seit 1875 an der Universität Harmonielehre und Kontrapunkt – zunächst unentgeltlich, aber 1880 dann zu einem festen Salär von 800 Gulden, was seinen Unterhalt sicherte. Zu seinen Schülern zählte Gustav Mahler, 1880 notierte sich Bruckner seine Adresse als die eines vielversprechenden Eleven. Bruckner war alles andere als ein „Trottel“, seine Lehrveranstaltungen galten als „sehr gut, klar und etwas spaßig“, das Konzept seiner Antrittsvorlesung zeigt genaue Vorstellungen von der Bedeutung der Instrumentalmusik.
Im September 1879 hatte er seine sechste Sinfonie begonnen, offenkundig getragen von Optimismus, was seine Lebenssituation betraf: finanzielle Sicherheit zeichnete sich ab, als Organist wurde er europaweit gefeiert, seine vierte Sinfonie fand fast ungeteilte Zustimmung. So war nach der „erhabenen“ fünften die „kecke“ sechste an der Reihe.
Der erste Satz beginnt nicht mit dem typischen „Urnebel“, sondern mit einem leisen rhythmischen Motiv in den Streichern, aus dem sich, einem Sonnenaufgang vergleichbar, erst in den Celli und Kontrabässen, dann in Holzbläsern und Hörnern und schließlich im vollen Orchester das majestätische Hauptthema erhebt. Die Flöte führt zum „bedeutend langsameren“ gesanglichen Seitenthema, gekennzeichnet durch einen „wagnerischen“ Doppelschlag in den Violinen. Wie immer bei Bruckner gibt es ein drittes Thema, es ist diesmal nicht choralhaft, sondern festlich-freudig. In der weiteren Entwicklung, die sich mehr und mehr verdichtet, tritt es zurück, das eindrucksvolle Hauptthema in den Trompeten krönt den Schluss des Satzes.
Der zweite Satz, das Adagio, ist der emotionale Kern der Sinfonie. Wieder sind es drei Themen, die den Ablauf bestimmen: ein dunkel leuchtendes, auf der tiefen Saite der Violinen gespieltes, ein zweites, das auf Wagners ‚Tristan und Isolde’ (Liebesduett) anspielt und das dritte, das den Liebestraum unterbricht: ein Trauermarsch. Doch das innige erste Thema setzt sich durch, ein sanfter leuchtender Schluss lässt alle Irritation vergessen.
Der dritte Satz ist ein phantasievoll spukhaftes Scherzo; anders als in den vorhergehenden Sinfonien bilden weder bäuerliche Tanzmelodien noch grimmige Rhythmen einen Kontrast zur Lyrik des zweiten Satzes, sondern ein fast burleskes Spiel kurzer Motive. Im Mittelteil kommt es in einer heiteren Idylle zur Ruhe.
Bruckner Karikatur von Otto Böhler auf Bruckner und seine Kritiker (Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger)
Der vierte Satz ist aus zwei Themen gebaut, die aus denen des ersten und zweiten Satzes entwickelt werden. Bruckners Bewunderung für Richard Wagner, dem er seine dritte Sinfonie gewidmet hatte, klingt wieder an: in der siegfriedhaften Geste des ersten Themas, das sich nach anfänglichen Streicherpassagen im Blech erhebt; wird – passend für eine „kecke“ Sinfonie – an den ungebärdigen jugendlichen Helden (den Bruckner bei den ersten Bayreuther Festspielen erlebt hatte) musikalisch erinnert. In der Durchführung hören wir – endlich – einen typisch brucknerischen Posaunenchoral, die kontrapunktische Arbeit ist „angewandter Bach“ (Wagner über seine ‚Meistersinger’), bevor das Hauptthema des ersten Satzes die Sinfonie abrundet und überglänzt.
Das Ende Juni 1881 abgeschlossene Werk lag nicht allzu lange in der Schublade des Komponisten, am 11. Februar 1883 erklangen Adagio und Scherzo im Wiener Musikverein. Nach der Uraufführung der vierten Sinfonie am 20. Februar 1881 hatte man Bruckner als den „Schubert unserer Zeit“ gefeiert und erklärt, er gehöre „zu unseren bedeutendsten Tonschöpfern“. Die beiden Sätze der Sechsten stießen jedoch auf herbe Kritik. Eduard Hanslick, der bedeutendste Kritiker Wiens und ein bekennender Wagner-Gegner, bedauerte ausdrücklich, dass Bruckner hier in Erinnerung an den Gehassten „den symphonischen Stil der Bayreuther Fest-, Weihfest- und Bühnenweihfestspiele [der erst 1882 uraufgeführte ‚Parsifal’] leider nun auch auf die Symphonie selbst“ anwende. Hanslick vermisste Logik und Klarheit in den Strukturen, diese seien zugunsten eines unsystematischen wagnerischen Fortspinnens aufgegeben. Selbst Gustav Mahler, der von Bruckner so viel gelernt hat, fand „Größe und Reichtum der Erfindung“ durch „Zerstücktheit“ gestört. Gerade diese aber macht Bruckner zum „Fortschrittlichen“, denn er stellt Brüche aus, harmonisiert nicht, sondern lässt Disparates immer wieder zu, um dann doch eine Synthese zu wagen. Am Schluss bekräftigt das große Thema des ersten Satzes, dass ihm ein Ganzes gelungen ist.
Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz. Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten innehatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.
Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.
Christoph Eschenbach begann seine internationale musikalische Karriere als Pianist. Seit 1972 steht er außerdem als Dirigent am Pult der renommiertesten Orchester der Welt und ist Gast der bedeutendsten Opernspielstätten. Er wirkte als musikalischer und künstlerischer Leiter der Tonhalle-Gesellschaft Zürich sowie als musikalischer Direktor des Houston Symphony Orchestra, des NDR Sinfonieorchesters, des Orchestre de Paris und des Philadelphia Orchestra. Außerdem leitete er das Kennedy Center for the Performing Arts und das National Symphony Orchestra in Washington. Regelmäßig dirigiert er bei den Salzburger Festspielen und beim Schleswig-Holstein Musik Festival, wo er das Festivalorchester leitet. Seine Vielseitigkeit und sein großer Innovationsdrang brachten ihm als Dirigent, künstlerischem Partner und tatkräftigem Förderer junger Talente weltweite Anerkennung und zahlreiche höchste Auszeichnungen. Von 2019 bis 2023 war er Chefdirigent des Konzerthausorchesters. Im September 2024 übernahm Christoph Eschenbach die künstlerische Leitung der Breslauer Philharmonie am Witold-Lutosławski-Nationalforum für Musik in seiner Geburtsstadt.
Ein Interview ohne Worte mit Christoph Eschenbach – inspiriert von einer beliebten Rubrik im SZ-Magazin haben wir Christoph Eschenbach gebeten, für seine Antworten nur Mimik und Gestik zu benutzen. Mit Fotos von Co Merz.