11.00 Uhr
Familienführung
BERLINER BAROCK SOLISTEN
NOAH BENDIX-BALGLEY Violine und Leitung
Augustin Hadelich Violine (Artist in Residence)
Programm
WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791)
Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Konzert für Violine und Orchester D-Dur KV 218
Allegro
Andante cantabile
Rondeau. Andante grazioso
PAUSE
Concertone für zwei Violinen und Orchester C-Dur KV 190
Allegro spiritoso
Andantino grazioso
Tempo di Menuetto. Vivace
Albrecht Mayer Solo-Oboe
Dietmar Schwalke Solovioloncello
Adagio und Allegro für eine Flötenuhr f-Moll KV 594, für Streicher bearbeitet von Oskar Jockel
Rondeau. Allegro aus der Serenade D-Dur KV 250 („Haffner-Serenade“)
In Zusammenarbeit mit der Konzertdirektion Goette
An wen denken Sie beim Stichwort „Mozart“? An das hochbegabte Wunderkind, das schon früh quer durch Europa gereist ist? An den in Mannheim über beide Ohren Verliebten? An den in Paris um seine verstorbene Mutter Trauernden? An den beim Tarock und Billard risikofreudig einsteigenden Spieler? Oder doch den ernsten Komponisten, der noch in seinen letzten Stunden am Requiem arbeitet?
In der Tat ist das Leben von Wolfgang Amadé Mozart so vielfältig, dass man es aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann – abhängig vom biographischen Abschnitt oder der musikalischen Gattung. Denn Mozart lebte schnell und noch dazu in einer Zeit des Umbruchs. So war er zwar auf seinen Reisen gern gesehener Gast in Fürstenhäusern, fand aber keine feste Anstellung. In Wien war er schließlich freiberuflich tätig, mit seiner bis heute beliebten Oper „Le nozze di Figaro“ („Figaros Hochzeit“) betrat er gar vorrevolutionäres Terrain. Dennoch gibt uns Mozart als Mensch wie auch als Komponist bis heute viele Rätsel auf – von der erschütternden Ausdruckstiefe seiner ernsten Musik bis hin zur sorglosen Leichtigkeit der Serenaden und Divertimenti.
Auch ein Genie muss lernen. Denn obwohl Wolfgang Amadeus Mozart vieles aus seinem Œuvre mit scheinbarer Leichtigkeit zu Papier brachte, so studierte er doch die alten Meister, um seine Fertigkeiten zu schulen. Beispielsweise war für die satztechnisch streng gearbeiteten Partien des Requiems das am „Wohltemperierten Klavier“ Johann Sebastian Bachs erarbeitete handwerkliche Rüstzeug unbedingte Voraussetzung. Das zu jener Zeit noch ungedruckte Kompendium des Leipziger Thomaskantors lernte Mozart in einer Abschrift bei Baron van Swieten kennen, der in den 1770er Jahren als österreichischer Gesandter am preußischen Hof wirkte und später in Wien einen musikalischen Salon unterhielt: „Ich gehe alle Sonntage um 12 uhr zum Baron von Suiten – und da wird nichts gespiellt als Händl und Bach. – ich mach mir eben eine Collection von den Bachschen fugen“, berichtet Mozart am 10. April 1782 seinem Vater nach Salzburg. Seine kurze, jedoch intensive Auseinandersetzung mit dem Kontrapunkt dokumentiert sich dabei in Bearbeitungen Bachscher Fugen für Streichquartett (KV 404a) und Streichtrio (KV 405) wie auch in eigenen Fugen-Kompositionen. Diese stellen gleichwohl mehr als nur Übungen dar; Mozart durchdringt von der ersten Note an das vorgefundene historische Modell und passt es seiner eigenen Sprache an. Den eindrucksvollen, mit harschen Dissonanzsprüngen und chromatischen Linien durchzogenen Abschluss dieser nur wenige Monate dauernden kompositorischen Phase bildet eine Fuge c-Moll für zwei Klaviere (KV 426), die Mozart im Sommer 1788 für Streicher bearbeitete und um eine Adagio-Einleitung erweiterte (KV 546).
Als Wolfgang Amadeus Mozart im Alter von 17 Jahren am 13. März 1773 von seiner dritten Italienreise wieder in Salzburg eintraf, sollte er mit Ausnahme von zwei kleineren Aufenthalten in Wien und München nahezu viereinhalb Jahre in seiner Heimatstadt bleiben – die längste Zeit seit seinen Kindertagen. In diesen vergleichsweise langen Zeitraum fällt die Entstehung der fünf Violinkonzerte, einiger konzertanter Einzelsätze und des Concertone für zwei Violinen (1774), ferner der „Haffner-Serenade“ (1776) sowie einiger anderer Serenaden, in denen ebenfalls die Violine als Soloinstrument hervortritt. Für welche konkreten Anlässe aber die Werke jeweils geschaffen wurden, lässt sich heute meist nur vermuten, denn die als biographische Quelle unschätzbaren Reisebriefe fallen naturgemäß für die in Salzburg verbrachte Zeit aus. Sicher ist nur, dass die Violinkonzerte von der Hofkapelle aufgeführt wurden. Dies geht aus späteren Nachrichten hervor, in denen mehrmals der Salzburger Hofmusikdirektor und Hofkonzertmeister Antonio Brunetti (ca. 1735–1786) in Verbindung mit dem einen oder anderen Violinkonzert genannt wird.
Das im Oktober 1775 vollendete Violinkonzert D-Dur KV 218 gehört zu der Gruppe der fünf Konzerte, die bis heute wegen ihrer interpretatorischen Schwierigkeiten geradezu gefürchtet werden. Sie fordern zwar keine übermäßige technisch brillante Virtuosität (wie später die Konzerte von Paganini), sondern vielmehr Klarheit und Ausgeglichenheit in der Tongebung sowie feine Differenzierungen in der Artikulation – Qualitäten, die auch etwas über Mozarts eigene musikalische Fertigkeiten auf dem Instrument aussagen. Darüber hinaus weist jede dieser Kompositionen unverwechselbare Besonderheiten auf.
Im Fall des Konzerts KV 218 sind es beispielsweise im ersten Satz die Präsentation von gleich drei (!) Themen und ein Formverlauf, der keinem der damals etablierten Modelle folgt – und dennoch schlüssig gestaltet ist. Im abschließenden Finale, einem Rondo, fasziniert hingegen der mehrfache Kontrast zwischen einem ruhigen Andante grazioso im 2/4-Takt und dem jeweils unmittelbar folgenden spielerischen Allegro ma non troppo im 6/8-Takt. In den Mittelteil nahm Mozart zudem eine zu seiner Zeit als „Straßburger“ bekannte Melodie auf, die er später nochmals im Kontretanz KV 269b verwendete. Diese Melodie diente übrigens auch zur Identifikation des Werkes, wie aus einem Brief an den Vater vom Oktober 1777 aus Augsburg hervorgeht.
In Mozarts Schaffen ist das noch in Salzburg entstandene Concertone seiner Bezeichnung nach singulär. Nach Anlage und Form gehört es allerdings zu der kleinen und sehr speziellen Gruppe der Sinfonia concertante – einer zu jener Zeit äußerst populären Verschmelzung von Sinfonie und Solokonzert, bei der auch Elemente der Serenade, des Divertimento und der Kassation eine nicht unerhebliche Rolle spielen; bezeichnenderweise ist bisher kein Werk dieser Gattung in einer Moll-Tonart bekannt geworden. Die Ursprünge der Sinfonia concertante liegen in Böhmen und in Mannheim, wo Kurfürst Carl Theodor mit seiner Hofkapelle einen in ganz Europa bewunderten Klangkörper unterhielt. Charakteristisch für die Sinfonia concertante (oder das Concertone) ist das konzertante Wechselspiel von zwei bis elf (!) Soloinstrumenten mit dem Orchester. Zu einer von Paris und London bis Berlin, Wien und Prag reichenden Blüte kam es vor allem in den Jahren zwischen 1780 und 1825. Welche Freude man dabei an der Zusammenstellung unterschiedlichster Klangfarben hatte, lässt sich an der recht kuriosen Besetzung einer 1798 in Wien aufgeführten Komposition von Leopold Kozeluch (1747–1818) ablesen, die als obligate Instrumente Klavier, Mandoline, Trompete und Kontrabass verlangt.
Als Mozart 1777 von Salzburg aus seine Reise nach Mannheim mit dem Ziel einer festen Anstellung antrat, hatte er neben dem Concertone KV 190 auch die teilweise eine Solo-Violine verlangende Haffner-Serenade KV 250 mit im Gepäck. Und so fragte Vater Leopold im Dezember des Jahres in einem seiner Briefe nach, ob eines der Stücke bereits gespielt wurde: „War dann in Mannheim nicht möglich die Hafnermusik, Dein Concertone oder eine Deiner Lodronischen Nachtmusiken aufzuführen?“ Tatsächlich kam es aber wohl nur zu einem privaten Durchspielen des Concertone bei dem befreundeten Flötisten Johann Baptist Wendling: „Ich habe dem h. [Herrn] Wendling mein Concertone auf den Clavier hören lassen; er sagte, das ist recht für Paris, wenn ich das den Baron Bach [Bagge] hören lasse, so ist er [dieser] ganz außer sich.“ Heute gehört diese sehr kurzweilige und bestens unterhaltende Komposition, die Mozart selbst sehr schätzte, wegen ihrer ausgefallenen Besetzung zu den Raritäten im Konzertsaal.
Im Schaffen wohl jedes Komponisten und jeder Komponistin gibt es Kleinode, die ihre Existenz entweder einem glücklichen Zufall oder einem Auftrag verdanken. Dies gilt auch für das Adagio und Allegro für eine Flötenuhr f-Moll KV 594. Mozart schrieb es für den Grafen von Deym, der in Wien ein öffentlich gegen Eintritt zugängliches Kunstkabinett mit Gipsabgüssen, klassischen Skulpturen, Wachsfiguren und allerlei Raritäten und Kuriositäten unterhielt. Dazu gehörte auch ein Miniatur-Mausoleum zu Ehren des verstorbenen Feldmarschalls Laudon, in dem zu jeder vollen Stunde ein in einer Uhr verbautes kleines Pfeifenwerk wöchentlich wechselnde Musik erklingen ließ. Die Komposition ging Mozart allerdings nicht leicht von der Hand. Aus Frankfurt am Main, wohin er zur Kaiserkrönung Leopolds II. angereist war, berichtet er am 3. Oktober seiner Frau Konstanze: „ich habe mir so fest vorgenommen, gleich das Adagio für den Uhrmacher zu schreiben […] – war aber, weil es eine mir sehr verhasste Arbeit ist, so unglücklich, es nicht zu Ende bringen zu können – ich schreibe alle Tage daran – muss aber immer aussetzen, weil es mich ennuirt [langweilt] – und gewis, wenn es nicht einer so wichtigen Ursache willen geschähe, würde ich es sicher ganz bleiben lassen – so hoffe ich aber doch es nach und nach zu erzwingen; ja, wenn es eine große Uhr wäre und das Ding wie eine Orgel lautete, da würde es mich freuen; so aber besteht das Werk aus lauter kleinen Pfeifchen, welche hoch und mir zu kindisch lauten.“ Tatsächlich entfaltet das Werk erst in anderen Instrumentationen mit erweitertem Ambitus seine wirkliche kompositorische Qualität.
Bis auf wenige Ausnahmen fristet die Gruppe der Serenaden und Divertimenti innerhalb von Mozarts umfangreichem Œuvre ein gänzlich unverdientes Schattendasein. Abgesehen von der Gran Partita KV 361, dem „Musikalischen Spaß“ KV 522 und der „Kleinen Nachtmusik“ KV 525, die in ihrer Besetzung und Art unterschiedlicher nicht sein könnten, sind viele dieser Kompositionen einem breiteren Auditorium unbekannt oder allenfalls dem Namen nach geläufig – wie etwa die „Posthorn-Serenade“ KV 320, die „Serenata notturna“ KV 239 oder die große „Haffner-Serenade“ KV 250. Sie alle werden von den parallel entstandenen Sinfonien überragt und scheinen der dichten satztechnischen Arbeit in den Streichquartetten kaum Konkurrenz zu machen.
Mit ihrem zumeist gefälligen Charakter zeigen sie zwar auf den ersten Blick eine bemerkenswert heitere Seite Mozarts; dennoch sollte man sich von der vordergründigen Leichtigkeit nicht täuschen lassen: Die wahre Kunst liegt hier in der bewussten Reduktion der kompositorischen Mittel (etwa des Kontrapunkts) und dem Verzicht auf kantige, kontrastierende Gegensätze im Bereich des Ausdrucks, ohne dass bei einer gelungenen Aufführung die Musik banal erscheint. Die neun Sätze umfassende Haffner-Serenade (mit einer Spielzeit von insgesamt einer Stunde) hatte Sigmund Haffner der Jüngere zur Vermählung seiner Schwester mit einem Spediteur bestellt. Für diese Festmusik wählte Mozart daher nicht zufällig die Tonart D-Dur, deren Charakter Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen 1784/85 entstandenen „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“ wie folgt beschreibt: „Der Ton des Triumphes, des Hallelujas, des Kriegsgeschrey’s, des Siegesjubels. Daher setzt man die einladenden Symphonien, die Märsche, Festtagsgesänge, und himmelaufjauchzende Chöre in diesen Ton.“
Das Ensemble wurde 1995 von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker und führenden Vertretern der Alte-Musik-Szene Berlins mit dem Ziel gegründet, das Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts auf künstlerisch höchstem Niveau aufzuführen. Mit Rainer Kussmaul hatte es seit seiner Gründung bis zum Jahr 2010 einen besonders auf dem Gebiet der Barockmusik international erfahrenen Solisten als künstlerischen Leiter. Von 2010 bis 2017 legten die Berliner Barock Solisten die künstlerische Leitung in unterschiedliche Hände: So sind Bernhard Forck, Gottfried von der Goltz, Daniel Hope, Daniel Sepec und Frank Peter Zimmermann an der Spitze des Ensembles aufgetreten. Seit 2018 ist der Geiger und Dirigent Reinhard Goebel künstlerischer Leiter der Berliner Barock Solisten. Zu den Gastsolistinnen und Gastsolisten zählen unter anderem Sandrine Piau, Thomas Quasthoff, Anna Prohaska, Emmanuel Pahud und Albrecht Mayer. Die CD-Aufnahmen des Ensembles wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. So erhielt die Einspielung von Bach-Kantaten mit Thomas Quasthoff 2005 den Grammy Award, und die Aufnahme der Sechs Brandenburgischen Konzerte wurde als „Einspielung des Jahres“ mit dem Opus Klassik 2018 ausgezeichnet. Für ihre Einspielung von Bachs Violinkonzerten mit Frank Peter Zimmermann wurde den Berliner Barock Solisten der International Classical Music Award 2019 verliehen.
Noah Bendix-Balgley spielt eine der seltenen Violinen aus der Cremoneser Werkstatt von Carlo Bergonzi – ein Instrument, das ihm erlaubt, seine „Gedanken und Emotionen mit anderen Musikern und dem Publikum zu teilen“. Damit ist eines seiner Lebensziele angesprochen: einen Klang zu erzeugen, der nicht nur schön, sondern auch ausdrucksstark ist, und der eine substanzielle Verbindung mit den Zuhörenden schafft. Der aus North Carolina stammende Geiger war von 2011 bis 2015 Erster Konzertmeister des Pittsburgh Symphony Orchestra, bevor er in gleicher Funktion zu den Berliner Philharmonikern wechselte. Neben dieser Tätigkeit tritt er als Solist mit führenden Orchestern in aller Welt auf – natürlich auch in Konzerten der Berliner Philharmoniker. Als leidenschaftlicher Kammermusiker spielt er in mehreren festen Ensembles, etwa im Trio mit dem Pianisten Robert Levin und dem Cellisten Peter Wiley sowie im genreübergreifenden Septett Philharmonix mit Mitgliedern der Berliner und Wiener Philharmoniker. Als begeisterter Interpret traditioneller Klezmer-Musik ist Noah Bendix-Balgley mit Ensembles wie Brave Old World aufgetreten, er hat bei Workshops in ganz Europa und den Vereinigten Staaten unterrichtet und komponierte das Klezmer-Violinkonzert „Fidl-Fantazye“, das im April 2023 unter anderem in der Philharmonie Berlin zu hören war.
Als Sohn deutscher Eltern in Italien geboren, studierte Augustin Hadelich an der New Yorker Juilliard School und gewann 2006 den Internationalen Violinwettbewerb in Indianapolis. 2009 erhielt er den prestigeträchtigen „Avery Fisher Career Grant“, 2011 eine Fellowship des Borletti-Buitoni Trust. 2015 gewann er den Warner Music Prize, 2016 folgte der Grammy Award. Das Fachmagazin „Musical America“ wählte ihn 2018 zum „Instrumentalist of the Year“. 2021 erhielt er einen Opus Classic für seine Aufnahme von Dvořáks Violinkonzert. Seit 2021 lehrt er an der Yale School of Music. Als Solist auf den Podien von Spitzenorchestern weltweit erfindet er das klassisch-romantische Violinrepertoire dank seines makellosen Spiels und seiner Gestaltungskraft immer wieder aufregend neu. Sein begeistert forschendes Interesse gilt dazu den Violinkonzerten des 20. und 21. Jahrhunderts. Augustin Hadelich spielt auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesù von 1744, bekannt als „Leduc, ex Szeryng“, einer Leihgabe des Tarisio Trust. Augustin Hadelich ist in dieser Saison Artist in Residence des Konzerthauses Berlin.