15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Gustav Mahler zweite Sinfonie berührt tiefe Fragen des Menschen: Warum leben wir, endet mit dem Tod alles, was könnte danach kommen?
Wie bei keinem weiteren Komponisten kreist Mahlers gesamtes Werk um Trauer und Trost, um Tod und Leben. Für unseren Dramaturgen Andreas Hitscher verlangen seine Sinfonien nicht nur Zuhören, sondern „vorbehaltloses Miterleben. Das macht sie in unvergleichlichem Maße zur Weltanschauung, macht ihre Aufführung mitunter mehr zur mystischen Erbauung als zum Konzerterlebnis.“
Und was zeichnet Mahlers Weltanschauung aus? „Aus pantheistischer Lebensphilosophie heraus identifizierte er sich mit jeglicher Kreatur, sah in jedem Tier, in jeder Pflanze und in jedem Stein seinen Nächsten. Seine Religiosität stellte ihn immer wieder vor die existentiellen Grundfragen.“ Eine Sicht auf unsere Welt und Fragen also, die heute mindestens so auf Antworten drängen wie im Fin de siècle.
178 Mitwirkende inklusive Chefdirigent Christoph Eschenbach, Chor und den Solistinnen Marisol Montalvo (Sopran) und Mihoko Fujimura (Alt) ergab die offizielle Zählung des Orchesterbüros diese Woche für Mahlers „Auferstehungssinfonie“. Zu den 105 Orchestermitgliedern auf der Bühne kommt ein zehnköpfiges Fernorchester aus Hörnern, Trompeten und Schlagzeug. Damit ist die Zweite in der Spitzengruppe, aber noch nicht das am üppigsten besetzte Werk von Gustav Mahler.
Ganz oben findet sich die Achte mit dem vielsagenden, wenn auch ein wenig hoch greifenden Spitznamen „Sinfonie der Tausend“. Sie hat Christoph Eschenbach 2019 zum Saisonauftakt mit dem Konzerthausorchester einstudiert. Auf dem Foto unschwer zu erkennen: Die Bühne war nicht weniger ausgebucht als der Saal! Auch Mahlers Dritte, die im Dezember mit Iván Fischer auf dem Programm steht, zieht an der Zweiten knapp vorbei. Aber: In keiner von ihnen sind wie in der Zweiten ganze vier Harfen besetzt!
Die 232-seitige Originalpartitur der „Auferstehungssinfonie“ ersteigerte ein anonym Bietender 2016 für 4,5 Millionen Pfund, damals rund 5,3 Millionen Euro. Damit wurde sie zum teuersten Notenmanuskript überhaupt. Der neue Besitzer war nicht der erste von diesem Werk Besessene: Vorbesitzer war der im selben Jahr verstorbene New Yorker Geschäftsmann Gilbert Kaplan, der die Partitur in den 1980er Jahren gekauft hatte. Er lernte extra für Mahlers Zweite Dirigieren und führte sie in drei Jahrzehnten über 100 Mal mit großen Sinfonieorchestern in aller Welt auf. Sein Repertoire zu erweitern, interessierte ihn indes so gut wie gar nicht.
Eigentlich schwimmen sie durch eines der Lieder, die zu Mahlers Zyklus „Des Knaben Wunderhorn“ gehören: Karpfen und Hechte, Aale und Störe, Stockfische, Krebse und sogar „Schildkroten“ („sonst langsame Boten“) kommen eilig heran, um die Predigt des heiligen Antonius von Padua nicht zu verpassen. Der, frustriert, spricht lieber zu ihnen als zu den unbelehrbaren Menschen. Doch die Unterwasserwelt stellt sich als nicht besser heraus: Auch bei den Fischen bleibt trotz Predigt alles beim alten.
Im dritten Satz der Sinfonie hört man die Fischgesellschaft nun ebenfalls sehr deutlich heranwuseln, allerdings rein instrumental ohne den skurrilen Text des Wunderhorn-Lieds. Und wie oft bei Mahler steht alles auf der Kippe, im Heiter-Volkstümlichen lauert die „Grauenhaftigkeit eines unaufhörlich bewegten, nie ruhenden, nie verständlichen Getriebe des Lebens“, wie der Komponist in einem Brief beschrieb.
In kindlich-innigem Glauben singt die Altistin vom „Lichtchen“, das Gott ihr schicken wird, um ihr den Weg in die Ewigkeit zu erleuchten, wo der Mensch herkommt und wieder hin will. Doch Mahler wäre nicht Mahler, wenn dieses „Urlicht“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ alle Zweifel beseitigt. Es sei vielmehr „Fragen und Ringen der Seele um Gott und um die eigene göttliche Existenz über dieses Leben hinaus“, soll er gesagt haben. Erst im letzten Satz, nachdem eindringlich das Jüngste Gericht durchs Orchester gefegt ist, bringt die Sopranistin doch noch Gewissheit mit erlösendem „Aufersteh'n!“.
Dramaturg Andreas Hitscher sieht in diesem monumentalen Werk jedenfalls „einen ebenso bedeutsamen wie Grenzen sprengenden Beitrag zur Requiem-Literatur: Mahlers Zweite ist die Totenmesse der Jahrhundertwende!“
Foto: Martin Walz