11.00 Uhr
Familienführung
Simply Quartet
Danfeng Shen Violine
Antonia Rankersberger Violine
Xiang Lyu Viola
Ivan Valentin Hollup Roald Violoncello
Programm
Anton Webern (1883 – 1945)
Langsamer Satz für Streichquartett
Langsam, mit bewegtem Ausdruck
Béla Bartók (1881 – 1945)
Streichquartett Nr. 4
Allegro
Prestissimo, con sordino
Non troppo lento
Allegretto pizzicato
Allegro molto
Pause
Antonín Dvořák (1841 – 1904)
Streichquartett F-Dur op. 96 („Amerikanisches")
Allegro ma non troppo
Lento
Molto vivace
Vivace ma non troppo
Weberns Langsamer Satz
Als Anton Webern 1905 den Langsamen Satz für Streichquartett komponierte, war der Zweiundzwanzigjährige erst seit einigen Monaten in Wien Schüler Arnold Schönbergs. Natürlich – auch der Lehrer schrieb ja noch nicht atonal – handelt es sich dabei um ein Stück in spätromantischer Tradition, schwankend zwischen Es-Dur und c-Moll. Einer weit ausgreifenden Kantilene wird mit dem erlernten kontrapunktischen Handwerkszeug ein zartes Kleid gestrickt. Aber was heißt Spätromantik? Brahms nennt man etwa immer wieder als Vorbild für den jungen Webern. Für dessen Quartettsatz mag jedoch ganz konkret Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“, das Webern 1903 gehört hatte, ein Vorbild gewesen sein. Wie dort – und wie eigentlich immer in Gustav Mahlers entsprechenden Sinfoniesätzen, die ebenfalls Pate gestanden haben könnten – ist das feine Gewebe bis zum Zerreißen gespannt, schwingt in der Inbrunst Leiden mit und verweigert lauernde Dramatik das Fallenlassen ins Idyll. Biographische Fakten legen übrigens nahe, dass in beiden Werken der ganz konkreten Liebe ein Lied gesungen wird: Hatte die Komposition der „Verklärten Nacht“ 1899 eine Inspiration auch in Schönbergs Begegnung mit Mathilde von Zemlinsky, waren sich im Sommer 1905 Webern und seine Kusine Wilhelmine Mörtl bei einer mehrtägigen Wanderung durch Niederösterreich nähergekommen – in dem einen wie dem anderen Fall schlossen einige Jahre später die Herren mit den jeweiligen Damen die Ehe.
Den Langsamen Satz hat Webern nie im Konzert gehört – er wurde erst 1961 veröffentlicht und im darauffolgenden Jahr uraufgeführt.
Bartóks viertes Quartett
Streichquartette durchziehen fast das gesamte Werk Béla Bartóks, von 1908 bis 1939. Zumeist lagen große Pausen zwischen den Werken, weshalb sie auch zu Repräsentanten bestimmter Schaffensphasen wurden. Schöpfte das erste Quartett etwa vor allem noch aus den Quellen der „Hochkultur“ (Bach und Beethoven zum Beispiel, aber auch Reger), so ist im zweiten der Blick bereits durch Folklore-Studien und das Erlebnis der „freien Tonalität“ Schönbergscher Prägung geweitet. Im dritten und vierten Quartett „werden ... nun nicht mehr Fragen gestellt, … sondern Lösungen vorgeführt“ (Ulrich Dibelius).
Ein ungarischer Ton zeigt sich im vierten Quartett – 1928 komponiert und ein Jahr später uraufgeführt – vor allem im dritten Satz, in dem sich das liedartige Cellothema vor vibrierendem Hintergrund erhebt und Vogelrufe eine fast pastorale Szenerie heraufbeschwören. „Die Alpträume sind verflogen …“, schrieb der Musikwissenschaftler Aladár Tóth, nie zuvor sei es Bartók gelungen, „die heiße Glut der menschlichen Gefühle und die geheimnisvoll flüsternden Geräusche der kühlen und dämonischen Sternennacht … so vollkommen darzustellen.“ Hier haben wir das „Herz“ des Quartetts, zweiter und vierter Satz legen sich in der praktizierten Bogenform als innere Schicht herum, erster und fünfter Satz als äußere. Die jeweiligen thematischen Korrespondenzen führt Bartók mit einem Höchstmaß satztechnischer und klanglicher Raffinesse vor, präsentiert und verschleiert sie sozusagen gleichermaßen. Kann man die Wildheit im ersten Satz ohne Übertreibung brutal nennen, wendet sie sich im fünften zunehmend ins Tänzerische; ist im zweiten das Gespenstische eine ernste Bedrohung, wird es im vierten ironisch relativiert.
Dvořáks F-Dur-Quartett op. 96
Im Sommer 1891 erreichte Antonín Dvořák die Bitte, in die USA zu kommen, Konzerte mit eigenen Werken zu dirigieren und die Leitung des neuen Nationalkonservatoriums zu übernehmen. Der zuhause in Böhmen zur Galionsfigur der „Nationalmusik“ Gewordene sollte nun auch der amerikanischen Musik zur Eigenständigkeit verhelfen. Im Schmelztiegel der „Neuen Welt“ – so Dvořáks baldige Erkenntnis – konnte nur die Folklore einer neuen Musik die Basis geben, ob „die Originalgesänge … aus Afrika kämen oder von den Plantagen stammten“, ob die Inspiration auf „Kreolenlieder, den Gesang des roten Mannes oder auf die klagenden Weisen des heimwehkranken Deutschen oder Norwegers zurückzuführen“ sei.
„Heimwehkrank“ war auch Dvořák schnell geworden, und die Entscheidung, den Sommerurlaub 1893 in dem Dörfchen Spillville im Staate Iowa zu verbringen, hatte zu allererst in einem besonderen Vorzug der Dorfbevölkerung ihre Begründung: „Lehrer und Pfarrer, alles ist tschechisch ...“ Hier schwelgte er im Glück und kündete in seinem F-Dur-Quartett eben davon. Wer will, kann beim Hören Bilder an sich vorbeiziehen lassen: Dann stimmt im ersten Satz der Meister selbst unter dem Sonnenflirren der Violinen den Morgengesang an (sein Geld hatte er ja einst mit der Bratsche in einem Theaterorchester verdient); dann schweift im Lento der Blick über endloses Land unter endlosem Himmel und richtet sich doch auch nach innen. Dann steigt der Erzähler, der sich im dritten Satz spazierend an Vogelgezwitscher und Blumenduft erfreute, im Finale zum Ritt in den Sattel – oder verdankt sich der rhythmische Grundimpuls weniger munterem Galopp als vielmehr Indianer-Trommeln, denen Dvořák auf dem Markt von Spillville lauschte? Wir müssen es nicht wissen, um uns von seinem Glück anstecken zu lassen.
Noch in Spillville erklang das Quartett zum ersten Mal – zusammen mit Dvořák spielten musikbegeisterte Mitglieder seiner Gastgeberfamilie. Öffentlich uraufgeführt wurde es am Neujahrstag 1894 in Boston.
Das junge Simply Quartet pflegt ein breites Repertoire von frühklassischen Werken bis zur Streichquartettliteratur unserer Gegenwart; großes Augenmerk legt es auf die Verbindung der drei Kulturen (China, Österreich, Norwegen), aus denen die Mitglieder schöpfen, um eine ganz eigene musikalische Sprache zu entwickeln. Durch die Beschäftigung mit Werken aus jeder ihrer Kulturen vertiefen sie ihre Kenntnis unterschiedlicher Klangwelten.
Ursprünglich in Shanghai unter der Schirmherrschaft von Jensen Horn-Sin Lam gegründet, siedelte das Ensemble nach Wien über, um sich hier – gewissermaßen an den Quellen – mit dem Quartettspiel zu beschäftigen. Am Joseph Haydn Institut der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien studiert das Ensemble mit Johannes Meissl; darüber hinaus verdankt es den Jahren an der European Chamber Music Academy sehr wertvolle Erfahrungen und Impulse. Weitere Einflüsse sammelte das Quartett in der Klasse von Günter Pichler an der Reina Sofía School of Music in Madrid, der es 2020 und 2021 angehörte. Das Quartett wurde mit vier Ersten Preisen bei namhaften Kammermusikwettbewerben ausgezeichnet: Beim Internationalen Carl Nielsen Wettbewerb in Kopenhagen sowie beim Quatuor á Bordeaux 2019, beim Wettbewerb „Franz Schubert und die Musik der Moderne“ in Graz in 2018 sowie 2017 beim Internationalen Joseph Haydn Kammermusikwettbewerb in Wien.
Im Wiener Konzerthaus war das Simply Quartet Teil des Great Talent Programms (2020-22). Als ECHO Rising Stars feierte es in der Saison 2021/22 eine Vielzahl von Debüts (unter anderem in den Konzertreihen vom BOZAR Brüssel, Concertgebouw Amsterdam, Palau de la Música Catalana, der Elbphilharmonie Hamburg oder der Luxemburger und der Pariser Philharmonie). In dieser Saison stehen neben Konzerten zum Beispiel auch in der Wigmore Hall London, der Alten Oper Frankfurt oder der Tonhalle Zürich sowie bei etlichen Festivals an (unter anderem Rheingau Musikfestival, Festival International de Quatuors à Cordes du Luberon, Streichquartett Biennale In Amsterdam, Beethovenfest Bonn).
Der Primarius Danfeng Shen spielt eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahr 1753, die ihm dank einer großzügigen Leihgabe der MERITO String Instruments Trust GmbH zur Verfügung steht. Antonia Rankersberger spielt eine Violine von Camillo Camilli aus dem Jahr 1736 (Mantua), die ihr von der Österreichischen Nationalbank zur Verfügung gestellt wird.