15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Vor den Konzerten des Konzerthausorchesters am 29. und 30. November wandte sich Joana Mallwitz an das Publikum im Großen Saal. Neben der eindringlichen Warnung, dass die Kürzungen im Berliner Kulturressort in ihrer „Kurzfristigkeit und Planlosigkeit existenzbedrohend“ seien, betonte die Chefdirigentin, sie werde gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen „alles dafür tun, dass wir in unserer Zukunft noch mehr Musik in dieser Welt haben und nicht weniger“. Akustische klassische Musik sei ein Schatz, den es zu beschützen gelte und eine gelebte Kunst, die Menschen „in der Empfindung des Menschlichen“ zusammenbringe und uns so alle zu Verbündeten mache.
Hier lesen Sie Joana Mallwitz' gesamte Rede.
Liebes Publikum hier bei uns im Konzerthaus,
ich möchte Sie um Verzeihung bitten, dass ich heute vor dem ersten Ton das Wort an Sie richte, aber es geht nicht anders.
Als ich das Programm des heutigen Abends geplant habe, ging es mir vor allem um das Erlebnis des Hörens. Das Werk von John Cage, „4,33“, mittlerweile ein Klassiker der Musikliteratur, ist eine auskomponierte Stille von viereinhalb Minuten. Und alles was in diesen viereinhalb Minuten geschieht, wird zum Teil der Kunst, Teil des gemeinsamen Zuhörens. Die Stille öffnet uns manchmal die Ohren und lässt uns anschließend mit anderen Ohren hören. Ich glaube an die Kraft des Zuhörens. Ich glaube daran, dass Zuhören einen Menschen verändern kann. Und dass gemeinsames Zuhören uns alle gemeinsam verändern kann. Dass es das gemeinsame Zuhören ist, das uns als Gesellschaft und als Gemeinschaft vereint, zusammenschweißt, weiterbringt, stärkt.
Was ich nicht habe ahnen können, war, dass dieses Stück Stille am heutigen Tag – wenige Tage nachdem der Berliner Senat bekannt gegeben hat, dass er schon ab Januar kommenden Jahres, aber auch in den folgenden Jahren, Kürzungen in nie gekannter Höhe im gesamten Kulturresort vornehmen wird, Kürzungen, die in ihrer Kurzfristigkeit und Planlosigkeit existenzbedrohend sind – dass dieses Stück Stille am heutigen Tag nicht nur ein Erlebnis sein würde, sondern eine Warnung.
Wir werden die vielen Krisen der heutigen Welt nicht bezwingen, wenn wir nicht diese Orte haben, an denen wir im Zuhören vereint sind. Die Zeit, in der wir Musik nicht nur als Einzelner, sondern als Gesellschaft bitter benötigen, ist jetzt.
Und wenn wir nicht aufpassen und diesen Schatz – die akustische klassische Musik, der wir in Europa so viel zu verdanken haben und eine Tradition, die über viele Jahrhunderte gewachsen ist – nicht beschützen und über Krisen und kurzfristige Entscheidungen hinwegtragen, dann wird dies endgültig sein, dann werden zukünftige Generationen an so wunderbaren Orten wie unserem Konzerthaus bald nichts mehr finden als Stille. Wurden diese Orte vor nicht einmal einer Generation aus Krieg und Zerstörung in einem wahnsinnigen Kraftakt wieder aufgebaut, um sie dann erstummen zu lassen? Wir müssen uns fragen, für welche Zukunft wir eigentlich sparen, wenn diese Zukunft so still ist.
Also, was machen wir denn jetzt? Was kann man sagen, was kann man tun? Viele haben mir geraten: Statt einer Rede müsstet ihr eigentlich das Konzert abbrechen, ein Zeichen setzen, was passiert, wenn wir Kultur kaputtsparen.
Aber daran glaube ich nicht. Ja, die Einsparungen werden auch uns empfindlich treffen, sie werden unseren Spielplan reduzieren, Dinge werden wegfallen, werden ausfallen müssen, Festivals und Vermittlungsformate nicht stattfinden, das große Festival „Projections“, das im Februar stattfinden sollte, ist schon abgesagt, unsere Akademie zur Ausbildung von Nachwuchsmusikern ist akut gefährdet. Aber wir werden mit noch mehr Herzblut musizieren, werden noch unbedingter für Sie Musik machen, wir, alle meine Kollegen und Kolleginnen hier mit mir auf der Bühne, und auf allen Bühnen Berlins, werden alles dafür tun, dass wir in unserer Zukunft noch mehr Musik in dieser Welt haben und nicht weniger.
Musik ist eine gelebte Kunst. Sie lebt nur, wenn sie erklingt, wenn sie gespielt wird. Und sie bringt uns Menschen zusammen, vereint uns in der Empfindung des Menschlichen, egal wie groß oder unüberbrückbar die Differenzen im realen Leben scheinen. Egal wie Sie heute morgen aufgestanden sind, was Sie zum Frühstück gegessen haben, welche Bücher Sie lesen, welche Partei Sie wählen, an welchen Gott Sie glauben oder auch nicht: Wir alle sind heute Abend gemeinsam hier und jeder einzelne von Ihnen wird von diesem Abend mitnehmen was er will, fühlen was sie will, denken was er will. Und genau das macht uns alle zu Verbündeten.
Also vielleicht ist es genau das. Kommen Sie in Konzerte, kommen Sie immer wieder, erzählen Sie‘s weiter – und das sage ich nicht, weil uns hier das Publikum ausgehen würde, wie Sie sehen. Am besten nehmen Sie immer mal wieder jemanden mit, ihren Nachbarn, ihre Kollegin aus dem Büro, und wenn jemand sagt: „Das kenn ich aber gar nicht und ich weiß doch gar nicht, ob mir das gefällt,“ dann sagen Sie Ihnen: „Darum geht es doch gar nicht!“ Wir erleben etwas zusammen, und danach können wir bei einem Glas Wein zusammensitzen, diskutieren oder feiern. Bringen Sie Ihre Nichten oder Ihre Neffen, Ihre Enkelkinder und am besten gleich noch einen Schulfreund, der sich sonst nicht hierher verirren würde. Und zwar nicht, um zu belehren, sondern um etwas gemeinsam zu erleben. Um etwas zu teilen von der großartigen Kultur, die uns hier eint und die allen – wirklich allen – offensteht.
Aus diesem Grund höre ich in der Stille von John Cage nicht nur Warnung, sondern auch Hoffnung. Die Stille muss nicht das Ende sein, sie kann der Ausgangspunkt sein, der Startpunkt, für eine neue Entwicklung, für Ideen, für Fokus, Neugierde, Erwartung, Hoffnung, und eben – für Musik.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns einen Abend, der Sie hoffentlich beglücken wird, und eine Zukunft, in der noch viele dieser Abende folgen.
Foto: Simon Pauly