Too much of a good thing can be wonderful

By Meike Pfister March 28, 2025

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Inhalt

Konzerthausorchester Berlin
Christoph Eschenbach  Dirigent
Simon Haje  Klavier

Programm

Ludwig van Beethoven (1770-1827) 

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 
Allegro moderato 
Andante con moto 
Rondo vivace 


PAUSE 

Anton Bruckner (1824-1896)  

Sinfonie Nr. 3 d-Moll (3. Fassung) 
Mehr langsam, Misterioso 
Adagio, bewegt, quasi Andante 
Ziemlich schnell 
Allegro 

Zu viel des Guten kann wundervoll sein

Zu viel des Guten kann wundervoll sein. Zumindest sah das die amerikanische Schauspielerin, Sängerin und Femme fatale Mae West (1893-1980) so, die diese dionysische Weisheit lebte und prägte und ihr auf manch eine Spruchpostkarte mit Sahnetorten im Hintergrund verhalf.  

Die beiden Herren Beethoven und Bruckner hätten dieses Bonmot in Bezug auf ihren Lebensstil wahrscheinlich kaum so formuliert. In Bezug auf ihre Musik, so scheint es, vertraten sie es eher – wenngleich das Publikum nicht immer derselben Ansicht war: „Da haben wir denn auch in der bittersten Kälte von halb sieben bis halb elf ausgehalten und die Erfahrung bewährt gefunden, dass man auch des Guten – und mehr noch, des Starken, leicht zu viel haben kann“, befand etwa der Komponist Johann Friedrich Reichardt nach der Uraufführung von Beethovens 4. Klavierkonzert am 22.12.1808 in Wien. An der Qualität der Komposition lag es sicherlich nicht. Vielmehr waren wohl die eisige Kälte im Saal sowie die Länge des Konzerts ausschlaggebend. Das Klavierkonzert nahm in dem fast vierstündigen Programm, das unter anderem auch die Uraufführungen von Beethovens 5. und 6. Sinfonie beinhaltete, den Platz einer überdimensionierten Zugabe ein. 

Bei Anton Bruckner reichte bereits eine einzelne Sinfonie aus, dass sich bei manchen Zuhörerinnen und Zuhörern der Eindruck von zu viel des Guten einstellte. Vor allem die Uraufführung der 3. Sinfonie – mit 75 Minuten die längste Sinfonie, die bis dato geschrieben worden war – gestaltete sich als totales Debakel. Der berüchtigte Kritiker Eduard Hanslick formulierte es vorsichtig: „Wir möchten dem als Menschen und Künstler von uns aufrichtig geehrten Komponisten, der es mit der Kunst ehrlich meint, so seltsam er mit ihr umgeht, nicht gerne wehtun, darum setzen wir an die Stelle einer Kritik lieber das bescheidene Geständnis, daß wir seine gigantische Symphonie nicht verstanden haben.“ 

Beethovens 4. Klavierkonzert

Dabei kann Musik doch auch so besänftigend und transformierend auf Mensch und Welt wirken. Bestes Beispiel dafür ist die Geschichte von Orpheus, der auf der Suche nach seiner verstorbenen Eurydike durch die Unterwelt reist. Mit seinen Gesängen vermag er neben irdischen Tieren auch wilde Höllentiere zu bändigen und rettet somit seine Geliebte – fast. Denn auf dem Rückweg dreht er sich nach ihr um und bricht damit die einzige Regel, deren Erfüllung ihm als Bedingung für Eurydikes Freigabe gestellt war. Eurydike verschwindet daraufhin wieder in der Unterwelt, während Orpheus voller Verzweiflung der gesamten Frauenwelt abschwört. Die Mänaden, Anhängerinnen Dionysos’, die ganz im Sinne Mae Wests dem Zu-viel-des-Guten zugetan sind, missfällt diese Entscheidung, und sie ermorden Orpheus kurzerhand.  

Ob Beethovens im Jahr 1806 entstandenes G-Dur-Klavierkonzert wirklich mit dem Orpheus-Mythos in Zusammenhang steht, ist nicht belegt. Gerade der rätselhafte zweite Satz mit seinen scharfen Kontrasten zwischen schroffen Orchesterschlägen im unisono und überirdisch sanften Klavierklängen lud durch seine ungewöhnliche Dramatik aber bereits die Zeitgenossen zu derartigen Spekulationen ein. Der dritte Satz stünde in dieser Interpretation wohl für den Blutrausch der Mänaden. Mit Pauken und Trompeten, voller Wucht und gleichzeitig voller Lust feiern sie den Sieg der Lebenslust über die Askese. Auch der erste Satz ließe sich mit diesem programmatischen Ansatz erklären, besticht er doch durch seinen unerhört lyrischen Beginn mit solistischen, suchenden Klavierakkorden im piano dolce. Könnte das nicht Orpheus sein, der hier auf seiner Lyra improvisiert?  
Vielleicht war und ist die Hörerschaft aber auch einfach überfordert mit der Andersartigkeit und ungewöhnlichen Sanftheit dieses Klavierkonzertes und sucht daher verzweifelt nach Erklärungen. Andererseits galt Beethoven ja seit jeher als das absolute Gegenteil von sogenannter Programmmusik, die sich auf außermusikalische Gegenstände wie zum Beispiel die antike Mythologie bezieht. Und eigentlich sollten Extreme bei Beethoven auch nicht weiter überraschen: Sein 1803 entstandenes 3. Klavierkonzert etwa beginnt mit einer dramatischen Orchestereinleitung in c-Moll – der bis dato längsten der Musikgeschichte. Da liegt es doch fast nahe, jetzt das andere Extrem auszukosten und – wiederum zum ersten Mal in der Musikgeschichte – gänzlich auf ein Orchestervorspiel zu verzichten.  

Die etwas überfordernde Programmkonzeption hatte Beethoven selbst zu verantworten – zu groß war wohl sein Wunsch, dem Publikum in seinem zweiten Akademiekonzert möglichst viele seiner Neuheiten zu präsentieren. Wofür er allerdings nichts konnte, war die viel zu kurze Probenzeit sowie die Tatsache, dass Antonio Salieri am selben Abend ein Benefizkonzert in Wien veranstaltete und dafür angeblich die besten Musiker in Beschlag nahm. Dass der Erfolg also nicht so rauschend war wie in seiner ersten Akademie im Jahr 1800, mag zu guter Letzt auch an der Mittelmäßigkeit der Aufführung gelegen haben.  

Bruckners 3. Sinfonie

An der Qualität der Musiker scheiterte die Uraufführung von Bruckners „Wagner-Sinfonie“ sicher nicht. Kein geringeres Orchester als die Wiener Philharmoniker höchstpersönlich saßen am 16. Dezember 1877 auf der Bühne. Am Dirigentenpult stand ein kurzfristig eingesprungener, als Orchesterdirigent völlig unerfahrener, linkischer Mann, ein „Bauer im Flausrock und in Pluderhosen“, wie es später in einem Nachruf über ihn hieß: Anton Bruckner selbst. Auch hier hatte das Publikum bereits zuvor „an Musik des Guten zu viel“ gehabt, wie ein Kritiker vermerkte. Die Tatsache, dass Bruckner seine Sinfonie bereits um 20 Minuten im Vergleich zur ursprünglichen Fassung gekürzt hatte, half auch nicht weiter – das Publikum verließ reihenweise während der Aufführung den Saal. Bruckner schrieb anschließend in seinen Kalender: „3te Ablehnung meiner Wagner-Sinfonie Nr. 3“. Schon zuvor war er mehrmals mit seinen Vorstößen gescheitert, die Sinfonie auf die Bühne zu bringen.  

Wie es für den obrigkeitshörigen Komponisten Zeit seines Lebens typisch sein sollte, reagierte er auf solche Ablehnungen stets mit Umarbeitungen und entsprechenden Anpassungen. So sind aus der zweiten Fassung der 3. Sinfonie fast alle Anspielungen an sein großes Vorbild Richard Wagner gestrichen. Wagner polarisierte die Musikwelt damals wie heute, und vermutlich wollte Bruckner die Gunst der Nicht-Wagnerianer erlangen. Wie bereits erwähnt, reichte aber auch das nicht aus. Erst nach 18 Jahren der Umarbeitungen konnte Bruckner im Jahr 1890 bei der Uraufführung der 3. Fassung seines „Schmerzenskindes“ einen Erfolg landen.  

So unterwürfig Bruckner als Person war – die Widmung an Wagner sei hier beispielhaft zitiert: "Sr. Hochwohlgeboren Herrn Richard Wagner, dem unerreichten weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst, in tiefster Ehrfurcht gewidmet von Anton Bruckner." – so grandios ist seine Musik.  

Zum ersten Mal zeigen sich in der Dritten die Merkmale, die auch für all seine weiteren Sinfonien kennzeichnend werden sollen: Fanfarenhafte Motivik aus leeren Quarten und Quinten, auratische Klangteppiche zu Beginn, klare Formabschnitte, die blockhaft voneinander abgesetzt sind (ganz anders als bei Richard Wagner, der unendliche Linien und die Kunst des Übergangs proklamierte), Betonung der Blechbläser, choralhafte Einschübe, Folkloristisches im Scherzo, pathetische Steigerungen im langsamen Adagio, Wiederkehr der Anfangsthemen im Finale sowie ein Schluss in versöhnlichem, hoffnungsvollem Dur.  

Letzteres findet sich auch schon bei Beethoven, etwa in dessen 9. Sinfonie, auf die sich Bruckner nicht nur mit der Tonartenwahl d-Moll/D-Dur zweifelsfrei bezieht. Anders als bei seinem Vorbild, steckt bei Bruckner hinter dem Konzept des Durchbruchs zum Licht jedoch eine tiefe Frömmigkeit und der Glaube an Erlösung im Jenseits. Die religiöse Aura seiner Sinfonien wird zudem durch die erwähnten Choraleinschübe und die blockhafte, an Orgelregister erinnernde Gegenüberstellung von Instrumentengruppen erzeugt. Hier klingt der gefeierte Orgelimprovisator Bruckner durch.  

Warum er es dennoch, bei all dem Erfolg als Organist, nicht unterlassen konnte, sich an der anspruchsvollsten und erhabensten Gattung des 19. Jahrhunderts, der Sinfonie, abzuarbeiten, erläuterte er 1891, als ihm die Urkunde zur Ehrenpromotion der Wiener Universität verliehen wurde. Bruckner bestand darin ausdrücklich auf der Titulierung „als Symphoniker“, „weil darin stets mein Lebensberuf stand“, „…dafür habe ich mein Leben eingesetzt, u auch meine Auszeichnungen erhalten.“ 

Das Konzerthausorchester Berlin spielt seit der Saison 2023/24 unter Leitung von Chefdirigentin Joana Mallwitz. Sie folgt damit Christoph Eschenbach, der diese Position ab 2019 vier Spielzeiten innehatte. Als Ehrendirigent ist Iván Fischer, Chefdirigent von 2012 bis 2018, dem Orchester weiterhin sehr verbunden.

1952 als Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) gegründet, erfuhr das heutige Konzerthausorchester Berlin von 1960 bis 1977 unter Chefdirigent Kurt Sanderling seine entscheidende Profilierung und internationale Anerkennung. Seine eigene Spielstätte erhielt es 1984 mit Wiedereröffnung des restaurierten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt. Zehn Jahre später wurde das BSO offizielles Hausorchester am nun umgetauften Konzerthaus Berlin und trägt seit 2006 dazu passend seinen heutigen Namen. Dort spielt es pro Saison mehr als 100 Konzerte. Außerdem ist es regelmäßig auf Tourneen und Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der 2010 gegründeten Kurt-Sanderling-Akademie bilden die Musiker*innen hochbegabten Orchesternachwuchs aus.

 Einem breiten Publikum auf höchstem Niveau gespielte Musik nah zu bringen, ist dem Konzerthausorchester wesentliches Anliegen. Dafür engagieren sich die Musiker*innen etwa bei „Mittendrin“, wobei das Publikum im Konzert direkt neben Orchestermitgliedern sitzt, als Mitwirkende in Clipserien im Web wie dem mehrfach preisgekrönten #klangberlins oder in den Streams „Spielzeit“ auf der Webplattform „twitch“. Die Verbundenheit mit Berlin zeigt sich im vielfältigen pädagogischen und sozialen Engagement des Orchesters mit diversen Partnern in der Stadt.

Christoph Eschenbach

Christoph Eschenbach begann seine internationale musikalische Karriere als Pianist. Seit 1972 steht er außerdem als Dirigent am Pult der renommiertesten Orchester der Welt und ist Gast der bedeutendsten Opernspielstätten. Er wirkte als musikalischer und künstlerischer Leiter der Tonhalle-Gesellschaft Zürich sowie als musikalischer Direktor des Houston Symphony Orchestra, des NDR Sinfonieorchesters, des Orchestre de Paris und des Philadelphia Orchestra. Außerdem leitete er das Kennedy Center for the Performing Arts und das National Symphony Orchestra in Washington. Regelmäßig dirigiert er bei den Salzburger Festspielen und beim Schleswig-Holstein Musik Festival, wo er das Festivalorchester leitet. Seine Vielseitigkeit und sein großer Innovationsdrang brachten ihm als Dirigent, künstlerischem Partner und tatkräftigem Förderer junger Talente weltweite Anerkennung und zahlreiche höchste Auszeichnungen. Von 2019 bis 2023 war er Chefdirigent des Konzerthausorchesters. Im September 2024 übernahm Christoph Eschenbach die künstlerische Leitung der Breslauer Philharmonie am Witold-Lutosławski-Nationalforum für Musik in seiner Geburtsstadt.

Simon Haje

Der 20-jährige Simon Haje, der bereits mit neun Jahren als Jungstudent an der Universität der Künste in Berlin aufgenommen wurde, gilt als einer der vielseitigsten und talentiertesten deutschen Nachwuchspianisten. Sein Repertoire reicht von Barock bis Gegenwart. So hat er mehrere der komplexesten Klavierwerke von Ligeti erarbeitet und aufgeführt, und weitere Projekte stehen an. Bei internationalen Klavierwettbewerben erhielt Simon Haje zahlreiche Preise, zuletzt bei vier Wettbewerben als Erster Preisträger in Folge (Neuchâtel, Aarhus, Kronberg, Orbetello). Daraus folgten Einladungen zu moderierten Solo- oder Duo-Recitals im Beethovenhaus Bonn, in der Laeiszhalle Hamburg und bei verschiedenen nationalen und internationalen Musikfestivals. Sein Orchesterdebüt gab Simon Haje mit 12 Jahren als Solist im Schlosstheater Rheinsberg. Es folgten Orchesterkonzerte unter anderem in der Tonhalle Düsseldorf und der Berliner Philharmonie mit Klavierkonzerten von Bach, Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn, Chopin und Rachmaninow. 

Simon Haje ist Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben, der Musikakademie Liechtenstein, der Daniel Hope Academy, der Richard-Wagner-Stipendienstiftung und der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Aufgrund seiner Leistungen wurde er 2022 zum Young Steinway Artist ernannt.  

Dirigent ohne Worte

Ein Interview ohne Worte mit Christoph Eschenbach – inspiriert von einer beliebten Rubrik im SZ-Magazin haben wir Christoph Eschenbach gebeten, für seine Antworten nur Mimik und Gestik zu benutzen. Mit Fotos von Co Merz.

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Hörbeispiel

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