11.00 Uhr
Familienführung
Elisabeth Leonskaja Klavier
Corinna Kirchhoff Sprecherin
Alban Berg (1885 – 1935)
Klaviersonate op. 1
Anton Webern (1883 – 1945)
Variationen op. 27
Sehr mäßig
Sehr schnell
Ruhig fließend
Arnold Schönberg (1874 – 1951)
Sechs kleine Klavierstücke op. 19
Leichte zarte Achtel
Langsame Viertel
Sehr langsame Viertel
Rasche, aber leichte Viertel
Etwas rasche Achtel
Sehr langsame Viertel
Suite für Klavier op. 25
Präludium. Rasch
Gavotte. Etwas langsam, nicht hastig
Musette. Rascher
Intermezzo
Menuett. Moderato
Gigue. Rasch
Pause
Richard Strauss (1864 – 1949)
„Enoch Arden“ – Melodram für Stimme und Klavier nach einem Gedicht von Alfred Tennyson op. 38
Von der Musikgeschichtsschreibung gerne als „Zweite Wiener Schule“ zusammengefasst, sind Schönberg, Berg und Webern bis heute Namen, die manchen Musikfreund eher erschaudern lassen als ihn erfreuen. Zugegebenermaßen hat die „Zwölftonmusik“, die sich ihnen verdankt, Hörerwartungen auf den Kopf gestellt. Doch wurzelte das Schaffen der drei in der Tradition, zu der sie sich auch immer bekannten – gerade davon kündet die erste Hälfte des heutigen Programms.
„Als Alban Berg im Jahre 1904 zu mir kam“, erinnerte sich Schönberg, „war er ein hochaufgeschossener und äußerst schüchterner Junge. Aber als ich seine Kompositionen durchsah, die er mir vorlegte – Lieder in einem zwischen Hugo Wolf und Brahms schwankenden Stil –, erkannte ich sofort, dass er eine echte Begabung hatte.“ Das erste seiner Werke, das Berg einer Opuszahl für würdig befand, war seine Klaviersonate von 1908. Ursprünglich hatte er sie wohl nur als Eingangssatz für eine „komplette“ Sonate gedacht – sein Lehrer Schönberg überzeugte ihn aber, dass auch in einem Satz alles gesagt sei. Bei der Uraufführung 1911 riefen die neuartige Form und die über das Gewohnte hinaus erweiterte Harmonik – gelinde gesagt – Verwunderung hervor. Zu übersehen und überhören sind aber weder der formale Bezug auf die Klassik (die quasi „geheiligte“ Sonatenhauptsatzform mit Exposition, Durchführung, Reprise und Coda) noch die Romantik des Klangbilds oder der Emphase.
Berg sei „bestimmt der begabteste der ganzen Schönberg-Schülerschar“ gewesen, meinte Alma Mahler, „über alles Können hinaus hatte er noch eine Seele“. Anton Webern, Bergs Mitschüler, erwarb sich später den Ruf, die Gesetze der Zwölftonmusik besonders streng zu handhaben und sie in extrem konzentrierten Miniaturen vorzuführen. Die Variationen op. 27 von 1936 – sein einziges Klavierwerk – sind ein Paradebeispiel dafür. Die drei Sätze sollten Grundlegendes der neuen Kompositionstechnik abbilden: der erste den Krebskanon, der zweite den Umkehrungskanon, der dritte die Synthese. Doch hat Webern selbst auch mitgeteilt, er hätte bei der Komposition des „Sehr mäßig“ an Brahms‘ späte Klavierintermezzi gedacht und beim „Sehr schnell“ an die Badinerie aus Bachs h-Moll-Ouvertüre.
Komponierte Webern an seinen Variationen mindestens acht Monate, brauchte Schönberg im Februar 1911 für seine Klavierstücke op. 19 (fast) nur einen Tag. In ihrer aphoristischen Kürze sind beide Zyklen durchaus vergleichbar, doch kann man Schönbergs – schon 1909 hatte er erklärt, seine Musik müsse „knapp“ sein, „keine stilisierten und sterilisierten Dauergefühle“ – im durchaus romantischen Sinne als eine Folge von Charakterstücken hören; das äußerst verhaltene, „wie ein Hauch“ endende sechste schrieb er im Juni 1911 unter dem Eindruck von Gustav Mahlers Tod einen Monat zuvor. Sehr ruhig und deutlich voneinander abgesetzt seien die Stücke vorzutragen, verlangte Schönberg: „Zu meiner Musik muss man Zeit haben. Die ist nichts für Leute, die anderes zu tun haben.“
Die Atonalität von Schönbergs Opus 19 war gewissermaßen noch „auf dem Wege“ gewesen, denn zu der durchorganisierten „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ kam er erst um 1920. In der Suite op. 25, zwischen 1921 und ’23 komponiert, folgte er diesen Prinzipien nun zweifelsfrei, doch setzte er ganz bewusst ein Gegengewicht durch das Aufgreifen barocker Satztypen. Eine Verneigung vor der Tradition! Wer würde bei Satzbezeichnungen wie Präludium, Gavotte, Musette oder Gigue nicht an die Suiten Bachs denken!
Melodramen, also Werke, die Musik mit dem gesprochenen Wort verbinden, gibt es zum Beispiel von Schönberg immerhin zwei: „Pierrot Lunaire“ und „Ein Überlebender aus Warschau“. Aber eigentlich hat diese Gattung stets eine Randexistenz geführt – vielleicht von Komponisten wie Liszt, Schumann und Brahms im 19. Jahrhundert zu einer kleinen Blüte gebracht. Noch aus dem 19. Jahrhundert (vollendet Ende Februar 1897) stammt auch Richard Strauss‘ etwa einstündiger „Enoch Arden“. Seine Textvorlage fand er in der deutschen Übersetzung (Adolf Strodtmann) einer Ballade des britischen Dichters Alfred Tennyson (1809-1892). Erzählt wird das Schicksal eines Fischers, der glaubt, Frau und Kinderschar besser als mit seinem Beruf ernähren zu können, wenn er auf einem Handelsschiff anheuert. Ein Schiffbruch verschlägt ihn jedoch auf eine einsame Insel, wo er als einziger überlebt. Erst nach zehn Jahren kommt er – seit langem für tot gehalten – nachhause zurück, bringt es aber nicht übers Herz, sich seiner neu verheirateten Frau, seinen Kindern und Freunden von einst zu offenbaren und stirbt schließlich unerkannt.
So traurig diese Geschichte auch sein mag, bietet sie doch reichlich Stoff für dramatische Darstellung. Strauss komponierte die Musik dazu ganz gezielt für gemeinsame Auftritte mit dem umtriebigen und seinerzeit sehr bekannten Schauspieler Ernst von Possart – an der Münchner Hofoper, wo Strauss wiederum 1894 Erster Kapellmeister wurde, zu eben dieser Zeit Intendant. Das Verhältnis der beiden war keineswegs spannungsfrei, ihr gemeinsames Konzertieren mit „Enoch Arden“ quer durch Deutschland aber über mehrere Jahre so erfolgreich, dass Strauss im Frühjahr 1899 noch ein weiteres Melodram folgen ließ: „Das Schloss am Meere“ nach Ludwig Uhland. Nun war es allerdings nur fünf Minuten lang; gemessen an „Enoch Arden“ also nahezu ein Webernsches Kondensat …
Elisabeth Leonskaja wurde 1945 im georgischen Tiflis als Tochter russischer, aus Odessa stammender Eltern geboren. Mit sieben erhielt sie regelmäßigen Klavierunterricht, gab mit elf ihr öffentliches Debüt und wurde mit vierzehn am Musik-Gymnasium ihrer Heimatstadt aufgenommen. Nach dem Gewinn des Internationalen Enescu-Klavierwettbewerbs in Bukarest 1964 wechselte sie an das Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium in die Klasse von Jacob Milstein. Bald darauf nahm sie erfolgreich am Marguerite-Long-Wettbewerb in Paris und am Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel teil. Über ihren späteren Ehemann, den Geiger Oleg Kagan, kam Elisabeth Leonskaja in Kontakt mit Swjatoslaw Richter, der ihre weitere musikalische Entwicklung maßgeblich beeinflusste und ihr bis zu seinem Tod in Freundschaft verbunden blieb.
1978 reiste Elisabeth Leonskaja aus der Sowjetunion aus und ließ sich in Wien nieder. Ihr sensationeller Auftritt bei den Salzburger Festspielen 1979 markierte den Beginn einer großen Karriere im Westen. Neben der solistischen Tätigkeit ist Kammermusik immer ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit geblieben – so zählten bisher unter anderem das Belcea, Borodin, Artemis oder Jerusalem Quartett und vor allem das Alban Berg Quartett zu ihren Partnern.
Elisabeth Leonskaja hat zahlreiche Schallplattenpreise erhalten. Ihre umfangreiche Diskographie nennt die Klavierkonzerte von Tschaikowsky, Chopin, Schostakowitsch und Brahms, alle Klaviersonaten von Schubert, Brahms und Mozart sowie die letzten drei Sonaten von Beethoven. Sie wurde mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, der georgischen Auszeichnung „Priesterin der Kunst“ und dem Lifetime Achievement Award 2020 geehrt.
Seit 1999 ist Elisabeth Leonskaja regelmäßig mit dem Konzerthauorchester (ehemals Berliner Sinfonie-Orchester) aufgetreten und war zudem mit Soloabenden im Konzerthaus zu Gast.
Corinna Kirchhoff wurde in Düsseldorf geboren, studierte in Berlin an der Max-Reinhardt-Schule und debütierte hier bei Peter Stein an der Schaubühne in Tschechows „Drei Schwestern“. Als jahrelanges Ensemblemitglied spielte sie in vielen Inszenierungen unter anderem auch von Klaus Michael Grüber, Luc Bondy und Andrea Breth. 1996 zur „Schauspielerin des Jahres" („Theater heute") gewählt, ging sie drei Jahre später an das Wiener Burgtheater und spielte 2002/03 auch bei den Salzburger Festspielen. Von 2005 bis 2008 war sie Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich. Es folgten Engagements unter anderem am Berliner Ensemble und am Schauspiel Frankfurt. Seit der Spielzeit 2017/18 ist sie wieder Teil des Berliner Ensembles. Corinna Kirchhoff hat in zahlreichen Filmen und bei mehreren Hörspielen mitgewirkt.
Elisabeth Leonskaja und Corinna Kirchhoff verbindet eine jahrelange künstlerische Partnerschaft und tiefe persönliche Freundschaft.