15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Konzerthaus Kammerorchester
Suyoen Kim Leitung
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Sinfonia für Streichorchester Nr. 10 h-Moll
Adagio – Allegro
Arnold Schönberg (1874 – 1951)
Walzer für Streichorchester (1897)
Kräftig
Nicht zu rasch
Etwas langsam
Etwas rasch
Rasch
(Ohne Bezeichnung)
Kräftig
Getragen
Lebhaft
Nicht rasch
Kurt Weill (1900 – 1950)
Tango-Habanera
PAUSE
Béla Bartók (1881 – 1945)
Divertimento für Streichorchester Sz 113
Allegro non troppo
Molto adagio
Allegro assai
Stücke von unterwegs
Mit leichtem Gepäck wandert es sich gut durchs Leben. Aber auch wer flüchten muss, packt ein ganzes Leben in nur einen Rucksack. Die Stücke dieses Abends sind ihrem Wesen nach leichtfüßig, aber zeigen Komponisten in Bewegung, an biographischen Schlüsselstellen, an Anfangs- und Wendepunkten. Kein Wunder, dass sich bisweilen die Düsternis ins Divertimento schleicht!
Mendelssohn blüht früh
Eine „teenage symphony to god‟ versprach die Surf-Band Beach Boys Mitte der Sechziger Jahre mit ihrem Album „Smile‟ – um es dann nicht einmal zu vollenden. Zu anspruchsvoll, zu viele Drogen. Echte teenage symphonies schrieb dagegen Felix Mendelssohn Bartholdy: ganze 13 Streichersinfonien nämlich bis zu seinem 15. Lebensjahr – neben unter anderem einer Oper, Singspielen, Klaviersonaten, Liedern, Orgelstücken, aufgeführt im halböffentlichen Rahmen des Speisezimmers der Familie Mendelssohn. Wobei das Talent des jungen Felix kaum versteckt blieb: 1820, als Elfjähriger, hält er sich länger im Haus Goethes auf, lernt bald Carl Maria von Weber und später in Paris Gioacchino Rossini kennen. An großen Namen – Mozart, Bach, Haydn – arbeitet sich Mendelssohn durchaus ab in diesem Frühwerk, die Sinfonia X h-Moll von 1823 klingt aber eigenständig und reif. Einer getragenen Einleitung folgt ein lebendiges Allegro, das immer mehr an Tempo gewinnt, bis die Musik überschäumend rennt: Da verrät sich vielleicht dann doch die Musik eines hoffnungsvollen Teenagers.
Schönberg kündigt
1897 führte der 23-jährige Arnold Schönberg ein Leben, das sich in vielem gar nicht so sehr von dem Generation Z unterscheidet: Was Anständiges gelernt, aber schnell gemerkt, dass das bürgerliche Dasein dem Kunstsinnigen doch nicht im Ansatz erfüllend ist. Also kündigt Schönberg beim Bankhaus Werner & Co. und schlägt sich durch: als Chorleiter in und um Wien. Und er tritt dem kleinen Amateurorchester Polyhymnia bei – Komponist Alexander Zemlinsky, seinen künftigen Lehrer, lernt er dort kennen. „An dem einzigen Cellopult saß ein junger Mann, der ebenso feurig wie falsch sein Instrument mißhandelte‟, schreibt der später über diese erste Begegnung. Schönbergs Musik erklingt hier erstmals öffentlich. Ob auch die Walzer für Streichorchester zu den Stücken für Polyhymnia gehören, ist umstritten. Die zehn erhaltenen Walzer – ein elfter blieb unvollendet – zeigen keinen zukünftigen Revolutionär, sondern einen Autodidakten in bester Laune, der verstanden hat, was in Wien von einem Walzer erwartet wird: einen Schwung, den 1923 sein musikhistorisch viel relevanterer späterer Walzer op. 23, Nr. 5 – das erste Stück in Zwölftontechnik! – wirklich nicht aufkommen lässt.
Weill schreibt ein unfreiwilliges Chanson
Dass die Experimente der Zwanziger zu Ende waren, hat Schönberg schnell nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verstanden und geht nach Paris ins Exil. Schon im März 1933 ist dorthin ein deutscher Komponist geflohen, der wusste, dass er als Jude wie als Kommunist ins Fadenkreuz der Nazis gerückt ist. Kurt Weill arbeitet im Exil weiter mit Bertolt Brecht, dem Librettisten seiner großen Erfolge. Er komponiert aber auch Auftragsarbeiten, die eher das Pariser Cabaret-Publikum anziehen sollten, darunter auch eine Oper. „Marie Galante‟ nach dem Roman von Jacques Deval hat alles: Menschenhandel, Prostitution, Spionage, Mord. Aber das Stück setzt sich nicht durch, es wird rasch abgesetzt und vergessen. Ein Tango allerdings wird überleben: als Chanson und Jazzstandard. „Youkali‟ wird 1935 mit neu geschriebenem Text veröffentlicht. In „Marie Galante‟ taucht die Melodie rein instrumental auf, als „Tango Habanera‟. Eine Habanera ist ein dem Tango verwandter, langsamer kubanischer Tanz. Der neue Text handelt von einer Insel der Sehnsucht und einem vagabundierenden Schiff. Weill wird seines bald betreten: Im Sommer 1935 verlässt er auf der „Majestic‟ Europa in Richtung New York.
Bartóks Zerstreuung gerät dunkel
Gehen oder bleiben, das fragte sich einige Jahre später auch Béla Bartók. „Divertimento‟ heißt „Zerstreuung‟, eine vor allem in der Wiener Klassik gefragte musikalische Form – aber Zerstreuung wünscht sich auch Europa in diesem Vorkriegssommer 1939. Bartók verbringt ihn auf Einladung des Basler Mäzens Paul Sacher in einem Chalet in den Schweizer Bergen. Sacher hat ein Divertimento für ein gut ausgebildetes Laienorchester in Auftrag geben, und Bartók bezieht sich in seinem in nur gut zwei Wochen vollendeten Werk auf die barocke Form des Concerto grosso, bei dem eine solistische Instrumentengruppe einer größeren kontrastierend gegenübertritt. Immer wieder treten aber auch andere Einflüsse zutage: Die barocke Leichtigkeit wird dann ergänzt um Spielweisen der ungarischen Roma-Musik. So tritt auch eine Dunkelheit in die flirrende Form: Wenn Bartók die Klagelied-Tradition des Sirató zitiert, scheint darin eine Vorahnung zu liegen. Das Stück ist eine Woche vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fertiggestellt. 1940 wird er in die USA ins Exil gehen. Bartók ist der Faschismus zuwider: In seinem Testament verfügt er, dass erst dann Straßen nach ihm benannt werden dürfen, wenn im mit Deutschland verbündeten Ungarn keine mehr den Namen der Diktatoren Hitler und Mussolini trägt.
Das 2009 von Musikern des Konzerthauses gegründete Konzerthaus Kammerorchester besteht fast ausschließlich aus Mitgliedern des Konzerthausorchesters Berlin und kommt ohne Dirigenten aus. Der demokratisch organisierte Klangkörper hat einen festen Platz in der Konzertsaison des Hauses und tritt wiederholt auf internationalen Podien in Erscheinung. So führten mehrere Konzertreisen das Ensemble beispielsweise in die Türkei, nach Holland und nach Japan.
Mehrere CD-Einspielungen sind erschienen, darunter mit dem Geiger Daniel Hope aus der Reihe „Recomposed by Max Richter“ die „Vier Jahreszeiten“ nach Antonio Vivaldi, ausgezeichnet mit dem „Echo Klassik“ 2013. Das Repertoire konzentriert sich hauptsächlich auf Werke für Streichorchester, aber auch auf Bearbeitungen von großen Kammermusikwerken wie zum Beispiel Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ in der Bearbeitung von Gustav Mahler. Auch sinfonische Werke mit kleinerer Bläserbesetzung oder Solokonzerte mit Solisten wie Julian Steckel, Ning Feng oder Matthias Kirschnereit gehören zum Programm.
Suyoen Kim ist Erste Konzertmeisterin des Konzerthausorchesters Berlin. Sie wurde in Münster geboren und studierte in ihrer Heimatstadt bei Helge Slaatto, in München bei Ana Chumachenco sowie an der Kronberg Academy. Seit 2018 ist sie Mitglied des Konzerthausorchesters, seit 2019 war sie außerdem Mitglied im Artemis Quartett. Sie ist Gewinnerin des Internationalen Violinwettbewerbs Hannover (2006) und Preisträgerin des Brüsseler Königin-Elisabeth-Wettbewerbs (2009). Als Solistin ist Suyoen Kim mit diversen renommierten Orchestern in Europa, Asien und Südamerika aufgetreten. Sie ist Mitglied im aktuellen Künstlerischen Beirat.
Suyoen Kim Violine I (Konzertmeisterin)
Teresa Kammerer Violine I
Melanie Richter Violine I
Christiane Ulbrich Violine I
N.N. Violine I
Andreas Feldmann Violine II
Karoline Bestehorn Violine II
Jana Krämer-Forster Violine II
Line Faber Violine II
Ayano Kamei Viola
Felix Korinth Viola
Pei-Yi Wu Viola
Andreas Timm Violoncello
JaeWon Song Violoncello
Hyejin Kim Violoncello
Igor Prokopets Kontrabass