15.00 Uhr
Expeditionskonzert mit Joana Mallwitz
Ganz unterschiedliche Werke eines großen, immer wieder umstrittenen Komponisten des 20. Jahrhunderts standen bei unserer zweiwöchigen Hommage an Dmitri Schostakowitsch im März 2022 auf dem Programm. Deshalb skizziert uns DSCH-Kenner Bernd Feuchtner in fünf kurzen Texten dessen komplexes Künstlerleben zwischen Welten – im Spiegel der Werke der Hommage. Zunächst sieht die Zukunft verheißungsvoll aus für den jungen Mann.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich in Europa eine kulturelle Revolution vollzogen. So wandte sich die Kunst vom Zwang zum Gegenstand ab, und die Musik befreite sich vom Korsett der Dur-Moll-Tonalität. Nach dem Krieg jagten drei Völker ihre Kaiser davon. Viele Künstler glaubten, die politische Revolution werde auch ihre neuen Freiheiten garantieren. Die sowjetische Avantgarde erregte in der ganzen Welt Aufsehen. Der junge Dmitri Schostakowitsch (*1906), der aus einer Familie fortschrittlicher Intellektueller stammte, wirkte am Aufbau dieser neuen sowjetischen Kunst mit großem Engagement mit.
1914
Wenn man wissen will, wie verrottet die zaristische Gesellschaft war, braucht man nur Leo Tolstois letzten Roman „Auferstehung“ zu lesen: Diese Zustände schrien nach Umsturz. Vielen jungen Künstlern wie Prokofjew oder Schostakowitsch erschien die schwüle Kunst des Symbolismus, diese Selbstfeier des gut betuchten, meist nicht arbeitenden Individuums, lächerlich. Auch die exaltierte Musik eines Alexander Skrjabin wirkte albern auf sie. Hochbegabt und frech, scheuten sie keine Auseinandersetzung und machten sich lustig über Gefühle in der Musik. Darin stand der junge Schostakowitsch dem trockenen Witz des frühen Hindemith gar nicht fern.
1925
Deswegen waren Schostakowitschs frühe Kompositionen aber noch lange nicht oberflächlich. Er erprobte neue Formen und grübelte dabei auch über den Tod. Auch seine Liebesaffären hinterließen ihre Spuren. Je mehr die Sowjetmacht sich aber etablierte, desto mehr wurde er in die Politisierung der Kultur hineingezogen. Er fand nichts dabei, seine Zweite Sinfonie der Oktoberrevolution und seine Dritte dem 1. Mai zu widmen und in Propagandaverse münden zu lassen, denn Berührungsängste kannte er nicht. Er schrieb Theatermusik für den Theaterrevoluzzer Meyerhold wie für das Theater der Arbeiterjugend. Und da er schon als Student sein Geld als Stummfilmpianist verdient hatte, wurde er bald auch ein guter Filmkomponist.
Gleichzeitig war Schostakowitsch ein begehrter Pianist. Seine beiden Klaviersonaten schrieb er in ersten Linie für seine eigenen Auftritte, sei es zuhause in St. Petersburg (seit 1924 Leningrad) oder auf Konzerttourneen. Es gibt ein Video mit ihm, in dem er das erste Klavierkonzert von 1933 spielt. Es zeigt seinen superbrillanten, knallharten, trockenen Klavierton. Gleichzeitig ist es die Verhöhnung des romantischen Dahinschmelzens. Die hinzugenommene Solotrompete liefert geradezu eine Zirkusnummer. Die Cellosonate von 1934 zieht die klassisch-romantische Sonatenform durch den Kakao, die mit verschiedenen Schablonen spielt, ohne eine Lösung vorzugaukeln – auch das kann man mit ihm am Klavier erleben. Seine erste Oper „Die Nase“, mit der der 22-Jährige 1928 einen Riesenerfolg landete, verspottete gesellschaftliche Konventionen, wie sie wieder offen zutage traten, als in der NEP-Periode vorübergehend das revolutionäre Tempo zurückgenommen wurde.
Mit Lebensfreund Iwan Sollertinski (1942)
Allerdings waren in seinem Leben zwei Änderungen eingetreten: 1932 gründete er eine Familie und schon 1927 hatte er mit Iwan Sollertinski den Freund fürs Leben gefunden. Sollertinski brachte ihm die Musik von Gustav Mahler nahe und zeigte ihm, dass die große Sinfonie auch für Sowjetmenschen etwas bedeuten könnte. In einer „Deklaration der Pflichten eines Komponisten“ erklärte Schostakowitsch, dass er nicht mehr nur Gebrauchsmusik schreiben wolle. Die Zeit verlange ernstere Werke. Seine zweite Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ sollte der Auftakt zu einer Trilogie über die Lage der Frau in der Gesellschaft werden. Sie wurde beinahe gleichzeitig in Leningrad und Moskau uraufgeführt und auch im Ausland nachgespielt. Manche bejubelten sie als die erste echte sozialistisch-realistische Oper, für andere war sie ein pornographisches Gräuel. Aber alle wollten sie sehen.
Fotoscredits: DSCH Publishers